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Treibland

Treibland

Titel: Treibland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Till Raether
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was sie traurig aussehen ließ.
    «Diese Fetische werden in Zentralafrika als Sitz böser Geister verstanden. Die Nägel werden hineingeschlagen, um den bösen Zauber zu aktivieren. Das konnte schwere Krankheiten oder sogar den Tod verursachen. Passend, nicht wahr?», sagte sie ein wenig atemlos.
    «Wie eine Voodoo-Puppe», sagte Danowski und drehte die verbogene Brille in der Hand.
    «So ähnlich. Obwohl das ein anderer Kulturkreis ist», sagte sie pedantisch und mit Seitenblick auf die Brille in seiner Hand.
    «Ein schreiendes Herz», sagte Danowski und wies auf das Fenster in der Brust des Fetischs, wo ein blutrotes Herz mit aufgerissenem Mund zu sehen war. Sie nickte. «Das wäre ein guter Name gewesen. Aber damals hat mir das Serielle besser gefallen: Nagelfetisch  I , Nagelfetisch  II und so weiter.»
    Danowski nahm sein Telefon. Während er die Kamerafunktion aktivierte, sah er, dass er ein halbes Dutzend Anrufe bekommen hatte, seit er hier war. Dann machte er, ohne vorher zu fragen, ein paar Bilder vom Nagelfetisch. Sie räusperte sich.
    «Vielleicht will ich den kaufen», sagte Danowski und steckte das Telefon wieder ein.
    «Das könnten Sie nicht bezahlen», sagte Kathrin Lorsch, und zum ersten Mal lag ein Anflug von Dünkel in ihrer Stimme. Er merkte, dass er insgeheim darauf gewartet hatte. Die Leute am östlichen Rand der Stadt sagten sofort geradeheraus «Scheißbullen»; am westlichen musste man nur länger warten und genauer hinhören. Danowski ging quer durch den Raum und setzte die Pilotenbrille mit den tropfenförmigen Gläsern, die man in seiner Jugend als Helmut-Kohl-Brille bezeichnet hatte, dem Nagelfetisch auf die grob geschnitzte Nase. Sie war zu groß für das kleine verzweifelte Holzgesicht, aber er sah, dass links und rechts die Ohren vor kurzem zurechtgeschnitzt worden waren, damit die Brille gut aufsaß: Das Holz war an diesen Schnitzstellen hell und frisch.
    «Sieht aus wie Ihr Mann», sagte er. Sie nickte, aber nicht ertappt, eher resigniert.
    «Wollen Sie mir nicht vielleicht doch ein bisschen mehr über Ihre Ehe erzählen?»
    «Unsere Ehe?» Er sah, dass sie Zeit gewinnen wollte. Das Einzige, was in diesem Haus an ihren Mann erinnerte, war ein Voodoo-Fetisch, der seine alte Brille trug; offenbar suchte sie relativ vergeblich nach einem Weg, das normal erscheinen zu lassen. Seine Kopfschmerzen meldeten sich zurück, und er war bereit, ihr alle Zeit der Welt zu lassen, um währenddessen seine Ruhe zu haben. Etwas in ihrem Gesicht öffnete sich, aber als sie merkte, dass er ein Gähnen unterdrückte, schloss es sich wieder.
    «Zu viel Liebe verdirbt die Freundschaft», sagte sie. «Das fasst es vielleicht ganz gut zusammen.»
    «Und lassen Sie mich raten», sagte Danowski, «das war dann ein nigerianisches Sprichwort? Togolesisch? Ugandisch?»
    «Kenianisch», sagte sie und zeigte ihm die Tür.
     
    Auf dem Gartenweg klang die Welt anders als zuvor. Danowski hob den Kopf und sah einen Hubschrauber, der in etwa hundertfünfzig Metern Höhe in der Luft stand. Vermutlich von einem Fernsehsender gechartert, um «die Villa des geheimnisvollen Virenopfers» von oben zu filmen. Vor der Gartentür zur Straße standen ein paar Frauen und Männer, die unruhig wurden, als er näher kam. Er fragte sich, woher die Journalisten die Adresse hatten. Wahrscheinlich war in der Pressemitteilung vom «Hamburger Spirituosen-Importeur Carsten L., 54 » die Rede gewesen, da fand man schnell den Rest.
    «Sind Sie von der Polizei?»
    Danowski nickte im Weitergehen. Er wusste, dass er besser nicht reagiert hätte, aber sein Vater hatte ihn so oft gebeten, seine Berufswahl nicht an die große Glocke zu hängen, dass es ihm inzwischen unmöglich war, sie zu verleugnen.
    «Ist Frau Lorsch eine Verdächtige?»
    «Wie ist der Stand der Ermittlungen?»
    «Wie groß ist die Gefahr für die Anwohner in Elbnähe?»
    Er sagte nichts und dachte, während er in den Wagen stieg und losfuhr, ohne sich angeschnallt zu haben: All das wüsste ich auch gern. Düster stellte er fest, dass sein Plan, während der Arbeit im Jenischpark auf der Wiese zu liegen und die Frühsommersonne zu genießen, sich heute bereits zum zweiten Mal zerschlagen hatte.
     
    Auf seinem privaten Telefon war ein Anruf von Martha, die wissen wollte, wo ein bestimmter Buntstift war, dem sie in der Herstellung von Raumschiffbildern quasi zauberische Kräfte beimaß. Verzweifelt. Die Mailbox auf seinem Diensttelefon war ein Katastrophengebiet. Journalisten

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