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Treibland

Treibland

Titel: Treibland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Till Raether
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bisher erlebt hatte.
    Meta Jurkschat sah ihn als Erste und machte Behling ein Zeichen. Danowski bemerkte einen Anflug von schlechtem Gewissen in den Gesichtern, dann gleichgültige Frechheit. Es gab Kollegen, die halfen einem, andere, die nahmen einem die Fälle weg. Macht doch, dachte er. Dann bin ich den Mist wenigstens los. Andererseits: So richtig traut ihr euch auch wieder nicht. Ihr wollt nur das Gefühl haben, überall dabei und überall wichtig zu sein, aber nicht verantwortlich, wenn was schiefgeht.
    Auf der Gangway, hinter dem Kordon von Bundespolizisten, standen offenbar einige Passagiere und verlangten, von Bord gelassen zu werden. Danowski konnte sich die Dynamik vorstellen: Ein paar Stunden rumsitzen und meckern, vielleicht Schnaps und Bier und die Frustration über einen sowieso nicht besonders gelungenen Urlaub, sich gegenseitig hochschaukeln, die können doch nicht … das wäre ja noch schöner … wir gehen jetzt einfach da runter … und dann standen sie hier und schrien sich an mit Beamten, deren Deeskalationstraining sich eher auf politisch motivierte Demonstranten bezog und weniger auf frustrierte Touristen.
    «Na, macht ihr euch ein Bild?», sagte Danowski, als er die Kollegen erreicht hatte. Meta Jurkschat schwenkte demonstrativ gelangweilt ihren Ausrüstungskoffer, wie Handgepäck vor einem Routineflug.
    «Wir wollten uns mal den Fundort und den Tatort anschauen», sagte Behling mit nüchterner Offenheit, «aber hier kommt man ja wirklich nicht rauf.»
    «Nee, das hab ich ja auch nur genau so gesagt», erwiderte Danowski. Er konnte sich vorstellen, was die drei sich gedacht hatten: Wir marschieren da rein, sichern ein paar Beweismittel, schreiben Vermerke, in denen wirklich was steht, und dann steht Danowski schön blöd da und wir so: hihi.
    «Treten Sie zurück. Ich fordere Sie auf, sofort zurückzutreten.» Der Tonfall des Bundespolizisten bekam jene Schärfe im Abgang, die ankündigte, dass die Situation demnächst kippen würde.
    «Fassen Sie mich nicht an!», schrie eine fremde Stimme. Dann wieder das Hin- und Herwogen. Danowski stellte sich auf die Zehenspitzen und suchte den Zugführer. Er hatte das Gefühl, wenigstens pro forma die Frage aufwerfen zu müssen, ob denn sein Tatort noch intakt war, wenn die Kollegen nicht einmal in der Lage waren, die Quarantäne durchzusetzen.
    «Die Leute von der Gesundheitsbehörde wollen hier so eine Art Schleuse aufbauen», sagte Meta Jurkschat, und Danowski brauchte einen Moment, um zu merken, dass sie ihm die Situation erklärte. «Das hat einige der Passagiere ziemlich alarmiert. Streng genommen dürfen die jetzt gar nicht mehr in Kontakt kommen mit anderen, die keine Schutzanzüge tragen. Als die Kollegen von der Bundespolizei angefangen haben, den Aufbau der Schleuse zu sichern, haben die Passagiere gebrüllt, dass sie keine Aussätzigen sind. Und dann haben es ein paar geschafft, die Gangway bis hier runterzukommen.»
    «Streng genommen sind sie das», sagte Danowski, während er nach seiner Sonnenbrille tastete, die leider im Auto lag. «Aussätzige. Wir lassen sie hier sitzen, auf diesem Schiff, und …»
    In diesem Moment ging eine Art Seufzen durch die Gruppe miteinander rangelnder Polizisten und Passagiere. Danowski spürte, wie sich seine Nackenhaare aufrichteten, und er sah, wie die Welt plötzlich heller, kontrastreicher wurde, wie immer, wenn ein Ausbruch von Gewalt bevorstand.
    «Ich weiß nicht, ob man das so sagen kann», sagte Meta Jurkschat und trat einen Schritt zur Seite, um ihr kurzes Gespräch zu beenden. Die Rangelei riss auf und spuckte einen einzelnen Menschen aus, einen Mann etwa in seinem Alter, dem es gelungen war, sich durch den Kordon zu rempeln und dann auf der anderen Seite loszureißen. Danowski erinnerte sich: Es war der Mann, der am Morgen im Foyer von der Balustrade geschrien hatte. Während nicht weit von ihm entfernt eine rothaarige Frau geweint hatte. Er hatte das dringende Bedürfnis, weiter darüber nachzudenken, so, als müsste er sich selbst jetzt sofort unbedingt etwas Wichtiges erzählen, aber er kam nicht dazu, weil ihm im selben schmerzhaften Atemzug klarwurde, dass der Passagier genau auf ihn zurannte und nur noch etwa fünf Schritte von ihm entfernt war. Offenbar hatte er ihn und die Koffer tragende Jurkschat als schwächste Stelle der Beamten hinter der Absperrung ausgemacht. Danowski wich einen Schritt zurück, um einen Sekundenbruchteil mehr Zeit zum Nachdenken zu gewinnen. Ziehen oder nicht?

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