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Treibland

Treibland

Titel: Treibland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Till Raether
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Miene.
    «Ich glaube Ihnen ein bisschen.»
    «Wenn es Sie beruhigt: Ich habe nichts gelesen, womit ich irgendetwas anfangen könnte.»
    «Wie würden Sie das, was Sie gelesen haben, beschreiben?»
    «Ich habe es für eine emotionale Selbsterkundung gehalten, die mich nichts angeht.»
    Sie nickte und schwieg.
    «Erzählen Sie mir etwas über Ihre Arbeit. Was war das für ein Auftrag, wegen dem Sie die Kreuzfahrt mit Ihrem Mann verpasst haben?»
    «Ein Bild für eine Stiftung. Für eine Ausstellung.»
    «Was ist das für eine Stiftung?»
    «Kinderwelten? Kinderträume? Es tut mir leid, ich habe die Unterlagen im Atelier. Hamburger Kaufleute, die Geld für Kinder in Not sammeln. Ist das Ihr Notizbuch?» Danowski hatte angefangen mitzuschreiben. Er nickte.
    «Darf ich mal sehen?» Er zögerte, aber dann war es ihm egal, und er hielt ihr sein Notizbuch hin. Sie kniff die Augen zusammen und sagte: «Ist das Ihre To-do-Liste für heute? Was soll das hier oben heißen, Nagelpflege?»
    «Nagelfetisch», sagte Danowski. «Ich habe mich ein bisschen mit Ihrer Kunst beschäftigt.»
    «Nagelfetisch? Sie meinen, Sie haben sich mit meinem Frühwerk beschäftigt. Ich habe Ende der Achtziger zwei oder drei davon gemacht. Damals hatte ich eine wilde Phase. Ich bin in Kenia aufgewachsen, die afrikanische Kunst war für mich früher so was wie … keine Ahnung. So was wie ein Zuhause, vielleicht.»
    «Der, den ich im Internet gefunden habe, hatte die Datumsangabe ‹ 1989 / 2012 ›.»
    «Ja, es gibt einen Nagelfetisch, der nie so richtig fertig geworden ist, darum habe ich ihn nie verkauft und immer weiter daran gearbeitet.»
    «Ist er hier bei Ihnen im Atelier?»
    «Ja. Möchten Sie ihn sehen?» Sie blickte ihn fragend an, weil sie nicht zu verstehen schien, worauf er hinauswollte. Er wusste es selbst nicht und sagte: «Wenn es geht.»
    «Warum?»
    Danowski hatte das Gefühl, die Zeugenbefragung finge an, ihm zu entgleiten. «Ich weiß es nicht», sagte er. Sie blieb sitzen und schwieg. Gut, dass Finzi nicht da war. Wenn der ihn bei dieser verquasten Befragungsstrategie beobachtet hätte, hätte er sich tagelang über ihn lustig gemacht.
    «Erzählen Sie mir etwas über Ihren Mann», sagte Danowski, sich aufbäumend. Und dann, als sie zögerte, legte er nach: «Ich würde gerne mal sein Arbeitszimmer sehen.»
    Zum ersten Mal lächelte sie, und als sie anfing zu sprechen, wurde Danowski klar, was ihm am Haus des Ehepaares so seltsam erschien. «Mein Mann hat kein Arbeitszimmer», sagte sie. «Mein Mann … hat sowieso erstaunlich wenig. Er war in jeder Hinsicht sparsam. Sparsam mit Worten und Dingen. Er hat eine Buchhaltungsfirma und einen Steuerberater, die sich um die Zahlen kümmern. Um die nicht besonders guten Zahlen, muss ich dazusagen. Die Firma ist immer mal wieder am Rande der Insolvenzverschleppung gewesen. Dieses Jahr läuft es ganz gut, glaube ich. Er hat voriges Jahr angefangen, mit Torf zu handeln. Zu spekulieren, besser gesagt.»
    «Mit Torf?», fragte Danowski, weil er dachte, er hätte sich verhört.
    «Ja, vor allem die schottischen Single Malts brauchen Torffeuer für die Herstellung, und Torf wird langsam knapp und teuer. Je mehr Torf Sie haben, desto mehr Einfluss können Sie nehmen. Mein Mann hat sich an der Torfförderung in irgendwelchen Mooren in Schottland und Nordengland beteiligt. Aber das läuft nur auf dem Papier. Und dann hat er ein Lagerhaus, wo ein externer Logistiker sich um den Versand und so weiter kümmert. Mein Mann fährt durch die Gegend und findet seltene Whiskys und kauft sie, und erntet jetzt den Erfolg von Gesprächen, die er vor fünfzehn oder zwanzig Jahren in Schottland oder Irland mit irgendwelchen Destillerien geführt hat: spezielle Abfüllungen, die er damals angeregt oder vereinbart hat und die jetzt auf Flaschen gezogen und für sehr viel Geld verkauft werden. Sein ganzes Geschäft ist in seinem Kopf und in einer alten Aktentasche, über die ich mich schon 1987 amüsiert habe.»
    «Okay», sagte Danowski. «Und die Aktentasche ist …» Er zeigte mit dem Kinn Richtung Osten. Sie nickte.
    «Genau. Auf dem Schiff.»
    «Und wie sieht die aus?»
    «Braun, glattes Leder. Silberne Beschläge, so ein Ziehharmonika-Boden. Immer zu voll, viel Papier und der Laptop.»
    «Wenn man hier reinkommt, sieht man praktisch keine Spuren von Ihrem Mann», sagte Danowski. Er klappte sein Notizbuch zu und steckte es in die Jackentasche, was signalisieren sollte, dass ab jetzt alles nicht mehr so wichtig

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