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Treibland

Treibland

Titel: Treibland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Till Raether
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raus», sagte Finzi. «Den hol ich mir dann noch. Damit krieg ich auch den Abend rum. Landwirtschafts-Simulator 2013 . Für PC . Hoffentlich läuft der noch mit meiner Graphikkarte. Sonst muss ich den alten Landwirtschafts-Simulator noch mal durchspielen, aber im 2013 er gibt’s neue Mähdrescher.»
    «Wenn du noch einmal Landwirtschafts-Simulator sagst, fahr ich gegen einen Baum.»
    «Mach mal nicht, die Chefin kommt gerade rein und sieht aus, als würde sie dich suchen.»
    Danowski rieb sich den Nasenrücken und schloss die Augen, weil er gerade an der Ampel stand.
    «Sag ihr, ich bin nicht da.»
    «Genau darüber würde ich gern mit Ihnen reden», sagte die Chefin, die Finzi offenbar ohne weiteren Kommentar das Telefon abgenommen hatte. «Aber wenn Sie sowieso schon unterwegs sind, können Sie mir gleich einen Gefallen tun. Ich nehme an, Sie sind auf dem Weg nach Hause.»
    «Ich bin im Hamburger Westen unterwegs», sagte Danowski unverbindlich.
    «Wie auch immer. Fahren Sie zum Cruise Center. Es gibt da eine Situation. Die Kollegen vor Ort sagen, dass der Bundespolizei die Überwachung der Quarantäne entgleitet.»
    «Und welche Kollegen sind vor Ort, wenn ich angeblich zuständig bin?»
    «Behling und seine Leute.»
    «Ich dachte, das machen alles Finzi und ich?»
    Er merkte, wie sie zögerte. «Sie waren bei der Zeugenbefragung. Das da am Cruise Center ist möglicherweise eher was … für Handwerker wie Behling. Aber jetzt müssen Sie auch hin.»
    «Ah, und da soll ich … was genau? Eine Menschenkette bilden?»
    «Sie sind der zuständige Sachbearbeiter, also bearbeiten Sie die Sache innerhalb der gesetzlichen Ermessensspielräume.»
     
    Vor dem Cruise Center war alles anders als heute Morgen. Der Parkplatz war abgesperrt, und die Abholer standen jetzt an einem Metallzaun, in den sie ihre Hände verhakt hatten, als müssten sie ihn stützen. Sie wirkten aufgeregt und riefen ihm etwas hinterher, als der Kontrollposten ihn durchließ. Auf der linken Parkplatzseite war eine größere Fläche abgetrennt, vermutlich für die Container, von denen Schelzig heute Nachmittag gesprochen hatte. Während Danowski sich im Schritttempo einen Weg durch verschiedene Uniformierte und Lübecker Hütchen bahnte, gab es von hinten einen Knall, und er verriss das Steuerrad, bevor er mit der Motorhaube unter flatterndem Signalband stehen blieb. Er drehte sich um und sah, dass seine Heckscheibe von einer rosafarbenen Flüssigkeit bedeckt war, die jemand aus größerer Entfernung geschleudert hatte. Er stieg aus, und die Hitze der direkten Nachmittagssonne schien ihm wie ein körperlicher Angriff. Drei, vier uniformierte Kollegen liefen Richtung Zaun mit diesem wortlosen, zielgerichteten Schnaufen an ihm vorbei, an das er sich während seiner Zeit bei der Schutzpolizei nie gewöhnt hatte: das tiefe Atmen vor dem Kampf. Er roch Erdbeer, und einige Meter entfernt lag ein zerplatzter Buttermilch-Becher auf dem Parkplatzasphalt.
    Vom Schiff hörte er Rufe. Die Menschen, die heute Morgen schweigend und ratlos an der Reling gestanden hatten, riefen und brüllten jetzt, um sich über die Ausweglosigkeit ihrer Situation zu beschweren. Danowski meinte, den einen oder anderen Sprechchor aus der Kakophonie heraushören zu können: Lasst uns raus, lasst uns raus. Unten an der Gangway ballte sich eine Menschengruppe, die in einer seltsam überdrehten Choreographie hin- und herwogte. Er sah, dass Behling, Kienbaum und Jurkschat am Rande standen und den uniformierten Kollegen Zeichen machten, wobei ihm unklar war, ob sie beruhigend oder anstachelnd wirken sollten.
    Je näher er kam, desto wütender wurde er. Wenn ihm alles zu viel wurde, hatte er oft das Gefühl, mit beiden Armen um sich schlagen zu müssen, als kämpfte er gegen Feinde, die so zahlreich waren, dass er zwar nicht gewinnen, aber seine Selbstachtung retten konnte, indem er kurz vorm Untergang noch so viel Schaden wie möglich anrichtete. Und jetzt wurde ihm alles zu viel: der Fall mit seinen unklaren Zuständigkeiten und den seltsamen Gefahren, die einmal über das ganze Spektrum zu laufen schienen, vom versauten Nachmittag bis zum qualvollen Tod; dass er zu spät nach Hause kommen würde; Finzi; die unjahreszeitgemäße Hitze, typisch für Hamburg, und im Juni, Juli und August würden sie wieder da sitzen bei 14  Grad und in den Regen sagen: «Aber im Mai hatten wir ein paar schöne Tage.» Die Kopfschmerzen. Das hässliche Schiff. Dass dieser Fall anders war als alle, die er

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