Treibland
eine lässig kompetente Alles-nicht-so-schlimm-Ausstrahlung verlieh. Danowski dachte an seinen Vater, während er das Handout überflog, das Steenkamp von einer Sekretärin hatte verteilen lassen. Steenkamp war etwa im gleichen Alter, Ende sechzig, Anfang siebzig, aber sein Vater kannte nur den Alles-noch-viel-schlimmer-Modus: die Krankheiten, das Dach, der Rücken, die Geldprobleme der Brüder.
Wenn du alt wirst, dachte Danowski, kannst du der Welt vom Sofa aus den Rücken kehren oder ihr gegenübertreten mit der Hand in der Tasche. Ich fürchte, das Erste liegt in der Familie, aber das Zweite wäre mir lieber.
Das Handout war sogar einigermaßen beruhigend, auch wenn es damit anfing, dass fünfzig bis neunzig Prozent aller Fälle von Ebola- und Ebola-ähnlichen Erkrankungen tödlich endeten. Auch von hochvariablen Inkubationszeiten war da die Rede, zwischen drei und zehn Tagen. Und Medikamente, um die Krankheit zu behandeln, nachdem sie ausgebrochen war, gab es nicht. Aber Wissenschaftler von der Arizona State University hatten vor zwei Jahren Mäuse erfolgreich gegen Ebola geimpft. «Mittels biotechnologischer Verfahren Isolierung eines Marburg-Ebola-Immunkomplexes als Impfkandidat», las Danowski. «Zusammensetzung: Proteine, die auf der Virus-Oberfläche vorkommen, sowie Antikörper, die virale Proteine identifizieren können. Herstellung des Präparats in Tabakpflanzen.» Das klang richtig gut, fand Danowski bedauernd, weil er sofort wieder Lust auf eine Zigarette bekam.
«Der Vorteil an diesem neuen Impfstoff ist, dass er relativ einfach herzustellen und lange lagerfähig ist», berichtete Steenkamp. «Und weil einige der Firmen, die zu vertreten ich mir hier erlaube, die Forschung der Amerikaner mitfinanziert haben, sind wir Miteigentümer des Impfstoffpatents. Deshalb haben die Amerikaner uns vor anderthalb Jahren grünes Licht gegeben, diesen Impfstoff für Europa herzustellen. Es hat Produktionsumstellungen gegeben, und wir haben gewisse Kapazitäten und sogar bereits Anfänge von Lagerbeständen.»
«Was heißt ‹die Amerikaner›?», fragte der Assistent des Bürgermeisters.
«Department of Homeland Security», sagte Steenkamp nach einer eleganten Pause. «In den USA ist das Interesse an einer Ebola-Vakzine allein sicherheitspolitisch motiviert, aus Angst vor einem bioterroristischen Angriff. Auch wenn das abwegig ist. Die Amerikaner sind eben vorsichtig.»
Der Assistent nickte, als hätte Steenkamp die richtige Antwort gegeben.
«Die Frage ist allerdings, ob Sie den richtigen Impfstoff für unser Virus haben», mischte Dr. Tülin Schelzig sich ein, deren dünne Stimme durch den Raum schnitt wie Papier: erst mal unbemerkt, dann aber schmerzhaft.
«Selbstverständlich», sagte Steenkamp und lächelte. «Hier sind wir auf Ihre Erkenntnisse angewiesen.»
«Die Unterschiede sind gering, betreffen aber möglicherweise genau das virale Eiweiß.»
«Könnte man nicht trotzdem einfach impfen?», fragte der Bürgermeister-Assistent. «Für den Fall, dass die Unruhe sonst zu groß wird? Risikogruppen und so weiter? Die Leute auf dem Schiff?»
Schelzig wiegte den Kopf. «Das Risiko können wir in der Kürze der Zeit kaum abschätzen.»
Und Kathrin Lorsch will ihre Firma und den ganzen alten Whisky nach Amerika verkaufen, dachte Danowski. Am Ende womöglich auch nach Arizona. Und vielleicht ist das genau der dumme Zufall, auf den wir gewartet haben: Eine Spur, die zu jemandem führt, der ein tödliches Gift besorgen kann, und zwar in Arizona, und wenn dann da auch noch der Käufer sitzt, dann ist das schnell mal die gleiche Person – irgendjemand, den Kathrin Lorsch auf einem Künstler-Retreat oder sonst wo kennengelernt hat –, und am Ende haben die Leute aus Überdruss an dem, was ihr Leben ist, die dümmsten Ideen, und alles fliegt auf, weil ein freundlicher alter Knacker unverständliches Zeug über Impfstoffforschung erzählt.
«Diese Leute in Arizona», sagte Danowski, «die haben also das Virus? Um damit zu forschen?»
«Gewiss», sagte Steenkamp. «Für die Tierversuche. Um den Impfstoff zu überprüfen, haben sie Mäuse mit Ebola infiziert, geimpfte und ungeimpfte. Von den geimpften Mäusen haben achtzig Prozent überlebt. Bei den Ungeimpften betrug die Mortalitätsrate einhundert Prozent.»
«Die Zahlen sind bekannt», sagte Tülin Schelzig abwesend.
Immerhin, dachte Danowski. Da will man sich nur ein bisschen ausruhen, und dann wird einem hier womöglich der Fall gelöst. Er nahm den
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