Treibland
getan.
Sie rauchte und betrachtete den Fetisch und lächelte. Seit Carsten tot war, schien ihr das Leben als eine Kette von Momenten der Klarheit. Wie ihr Vater den Träumen seines Vaters nach Ostafrika gefolgt war, Träumen von überwältigender Natur und Einheimischen, die einen lächelnd teilhaben ließen am Geheimnis eines anderen und besseren Lebens. Kommt rein, Jungs, nehmt, was ihr braucht, und lasst euren mitteleuropäischen Scheiß, wo er hingehört: zu Hause, bei Frau und Tochter. Träume, die dann vielleicht nicht allzu viel zu tun gehabt hatten mit dem Alltag eines Bergbauingenieurs, der irgendwann zwischen Dynamit, seltenen Erden, Warlords, Morphium und in Prostitution oder Hungerlöhne gedungenen Einheimischen den Überblick nicht mehr hatte. Und seine Frau und seine Tochter aus den Augen verlor. Und wie sie selbst dann genau diese Träume, die damals schon aus zweiter oder dritter Hand und ohnehin falsch waren, zur Masche gemacht hatte für ihre Kunst. Afrika hier, Afrika da, ohne irgendeine Ahnung davon, wer dort lebte und wie. Ohne klare Momente, ohne tatsächliches, ungefiltertes Interesse daran. Bücher, Fetische im Museum, Landschaft durch Autoscheiben, mit denen, die da lebten, gedolmetschte «Gespräche» – in leuchtenden, tristen Anführungszeichen. Nichts verstanden, nichts erfahren, die Suche nach der eigenen Geschichte ein Vorwand, um ihrer Arbeit, oder halt: ihrer «Arbeit» Facetten von Fremdheit zu geben und sich selbst einen Hauch von Tragödie und Exotik.
Wenn alle Schulden bezahlt waren, würde ihr vom Haus ein Bruchteil bleiben, aber ein Bruchteil in Nienstedten war noch immer mindestens eine halbe Million. Sie wusste nicht, was die Firma wert war, aber sie spürte, dass sie mit purer Willenskraft einen Preis etwa in der gleichen Größenordnung dafür verhandeln konnte. Vielleicht mehr. Aus Köln würde sie, nach allen Abzügen, im Laufe des Jahres vermutlich eine Viertelmillion bekommen.
Sagen wir 1 , 25 Millionen, dachte sie. Sie war alt genug, um sich an eine Zeit zu erinnern, als das viel Geld gewesen war. Wie soll ein Mädchen damit heutzutage ein neues Leben anfangen?, dachte sie im Ton eines Country-Songs. Aber du hast mir keine andere Wahl gelassen, Carsten.
Sie achtete darauf, nicht auf den dunklen Holzfußboden zu aschen, als sie das Zimmer verließ. Ein schreiendes Herz, dachte sie. Wie lange ist es her, dass mein Herz geschrien hat? Schreit es jetzt, vor Trauer, Erleichterung, Wut, um zu übertönen, was das Gewissen vielleicht zu sagen hätte?
Nein, dachte sie. Wenn überhaupt, dann hält es die Klappe und schluckt runter, was es vielleicht zu sagen hätte.
23 . Kapitel
Danowski bekam eine SMS von Dr. Tülin Schelzig, die ihn grußlos, aber präzise auf die bevorstehende Sitzung des Krisenstabs hinwies.
«Wie siehst’n du das», fragte er Finzi, «was sticht: Krisenstab oder Dezernat für Interne Ermittlungen?»
Finzi schloss die Augen und legte den Kopf zurück, als müsste er angestrengt überlegen. «Na ja», sagte er schließlich. «Krise ist Krise, die spitzt sich zu oder sie verschärft sich, da ist immer Dynamik in der Sache. Aber so ’ne interne Ermittlung, die läuft ja nicht weg.»
Auf dem Gang dachte er, dass Finzi jetzt bestimmt wieder leicht gekränkt war, weil nur Danowski zum Krisenstab gehörte und er wieder nicht auf der Liste stand. Egal, Danowski war froh, allein zu sein. Die Sitzung des Krisenstabs würde er nutzen, um ein bisschen abzuschalten. Sollten die anderen ruhig reden, er jedenfalls würde nicht zuhören, so wie gestern. Das Wichtigste gab es danach ja als Protokoll, oder es sickerte an die Presse durch und man konnte es am nächsten Tag komprimiert beim Frühstück in der
Mopo
lesen.
Erst mal aber machte ihm Peters von der Gesundheitsbehörde einen schönen geraden Strich durch die Rechnung. Schelzig hatte ihm das Wort überlassen, sie saß unbeteiligt neben der Tür und las etwas auf ihrem Telefon. Danowski hatte sich gerade Kaffee eingegossen und sich mit zwei von den kleinen Apfelsaftfläschchen aus der Tischmitte und ein paar Keksen bevorratet, um es sich im Niemandsland des hinteren Tischendes mit seinen eigenen Gedanken gemütlich zu machen, als Peters das Wort an ihn richtete.
«Wir wollen zwar heute in der Hauptsache über den Fortgang der Quarantäne und über unsere Optionen in der Prävention sprechen, aber vielleicht beginnen wir mit was Spannenderem. Können Sie uns einen kleinen Abriss Ihrer Ermittlungen
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