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Treue Genossen

Treue Genossen

Titel: Treue Genossen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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Martschenkos Jagdmesser dabei oder, besser noch, Jakows Revolver.
    Das Wimmern eines Ein-Zylinder-Motors drang aus dem Haus, und gleich darauf kam ein kleines Motorrad aus der Vordertür geschossen, jagte über den Schutt auf dem Hof und setzte über einen umgestürzten Lattenzaun, ehe der mit einem Camo bekleidete Fahrer kurz anhielt und das Visier seines Helms herunterklappte. Die Maschine hatte keinen Beiwagen, in den man eine Ikone stopfen konnte, und sie wies ein Nummernschild auf, aber es war eine blaue Suzuki, und am hinteren Kotflügel fehlte die Schlussleuchte. Arkadi hatte die Schlussleuchte in seiner Tasche.
    »Suchst du noch mehr Ikonen, die du stehlen kannst?«, rief Arkadi.
    Der Dieb erwiderte seinen Blick, als wollte er sagen: »Du schon wieder?«, und raste davon. Als Arkadi auf sein Motorrad sprang, war der Dieb schon halb aus dem Dorf hinaus.
    Arkadi hatte die größere und schnellere Maschine, war aber der schlechtere Fahrer. Hinter dem Dorf folgte der Dieb einem schmalen Pfad, den die Bewohner zum Holzsammeln angelegt hatten. Unter herabhängenden Ästen tauchte er durch, Hindernissen wich er geschickt aus. Arkadi durchbrach die dünneren Äste, bis ihn der ausgestreckte Arm einer Eiche aus dem Sattel hob. Dem Motorrad war nichts passiert, und das war die Hauptsache. Er stieg wieder auf und lauschte auf das Röhren der Suzuki. Regen rauschte in den Blättern, Birken bogen sich im aufkommenden Wind. Keine Spur von dem Dieb.
    Arkadi schob die Maschine mit abgestelltem Motor, und bei diesem gemächlicheren Tempo entdeckte er Motorradspuren im feuchten Laub. Bei Nässe waren Fußabdrücke und Reifenspuren leichter zu erkennen. An der nächsten Weggabelung schlug er absichtlich die falsche Richtung ein, bog aber nach fünfzig Metern in den Wald ab und kehrte zum richtigen Pfad zurück. Dort angekommen, sah er, dass der Dieb hinter einer glänzenden Wand von Tannen wartete. Der mit Nadeln bedeckte Waldboden war weich, und der Dieb hatte nur Augen für den Weg, bis die Stahlkrallen einer Falle aus dem Boden schnellten und neben Arkadis Fuß zuschnappten. Der Dieb fuhr herum, entdeckte Arkadi, das Motorrad und die Falle, und in der nächsten Sekunde raste er in die Richtung davon, aus der er gekommen war.
    Arkadi gelang es nicht, den Vorsprung des Diebs zu verringern, aber er ließ sich auch nicht abschütteln, und solange das kleinere Motorrad in Sichtweite blieb, konnte er Hindernisse frühzeitig erkennen. Zudem ging er Risiken ein, die er in normaler Gemütsverfassung nie eingegangen wäre, und tat es dem anderen, viel versierteren Fahrer nach, schlitterte über das Laub, bog scharf vom Weg ab und jagte im Zickzack durch eine Gruppe von Kiefern, ehe sie wieder ins Dorf zurückrasten. Auf der anderen Seite befand sich ein Forstweg, auf dem brusthohe junge Bäume sprossen. Der Dieb umkurvte sie wie Slalomstangen, legte sich mal auf die eine, mal auf die andere Seite. Arkadi raste einfach mitten durch und holte langsam auf.
    Als Arkadi immer näher kam, verließ der Dieb den Forstweg und fuhr an rostfarbenen Kiefern, dem Rand des Roten Waldes, entlang und dann durch ein welliges Gelände mit Strahlenschutzschildern, die vor beerdigten Häusern, Autos und Lastern warnten. Arkadi tauchte in die Senken hinab und wühlte sich mühsam wieder heraus, während der Dieb mit akrobatischer Leichtigkeit hinein- und wieder hinausflog. Was Arkadi auch probierte, der Vorsprung des anderen schien zu wachsen, und dann blieb er mit dem Vorderrad in einem verborgenen Graben hängen und flog über den Lenker. Er rappelte sich wieder auf, doch die Jagd war vorüber. Der Dieb verschwand in Richtung Tschernobyl, als ein Zucken den Horizont erhellte und mit einem Donnerschlag endlich das Unwetter losbrach.
    Der Himmel öffnete seine Schleusen, und die Lichter der Stadt schienen zu ertrinken. Arkadi schmerzte das Bein, das Haar klebte ihm nass an der Stirn. Er fuhr am einladenden Licht des Cafés vorbei, hörte die patschenden Schritte von Leuten, die zum Eingang rannten. Die Fenster waren beschlagen. Niemand sah ihn vorbeifahren. Der Parkplatz vor dem Wohnheim britzelte vom Regen. Er fuhr unter Ästen hindurch, die sich bogen und hoben. Er stellte sich vor, wie Viktor in einem Kiewer Cafe saß und in Gesellschaft von Tauben das Ende des Gewitters abwartete. Der Camo klebte kalt an seinem Körper. Ein Laster kam ihm entgegen. Seine Scheibenwischer bewegten sich wie wild hin und her und Arkadi bezweifelte, dass der Fahrer ihn

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