Treue Genossen
überhaupt bemerkt hatte.
Er bog ab und fuhr hinunter zum Fluss, wo sich ihm ein Panorama des Unwetters bot. Das Wasser dampfte im Regen, doch er konnte erkennen, dass Hoffmans Wagen nicht mehr an der Anlegestelle im Yachtklub stand. Bei jedem Aufflammen eines Blitzes schwebten Schiffswracks im Dunst. Am gegenüberliegenden Ufer zeichneten sich schemenhaft Espen und Schilfgras ab, doch weiter stromaufwärts führte die Brücke zu den einsamen Lichtern der noch bewohnten Personalunterkünfte. Dank der Blitze konnte Arkadi so viel sehen, dass er das Licht des Motorrads nicht brauchte. Er fuhr über die Brücke, dann auf matschigem Grund zwischen den Backsteingebäuden hindurch und schließlich auf einem Feldweg an einem ehemaligen Sportplatz entlang, der unter Rohrkolben und Farnen verschwand.
Er stellte den Motor ab und schob die Maschine auf dem Feldweg um eine dunkle Baumgruppe herum zu einer Wellblechgarage. Das Doppeltor war zu, aber das Vorhängeschloss nicht eingerastet. Das Tor quietschte, als er es öffnete, doch er bezweifelte, dass jemand bei dem Gedonner etwas hören konnte. Er leuchtete mit seiner Taschenlampe in die Garage. Sie wirkte voll gestopft, aber aufgeräumt: Gläser mit Schrauben in Regalen, Werkzeuge in einer Reihe an den Wänden. In der Mitte stand Eva Kaskas weißer Moskowitsch, links daneben ein Motorrad der Marke Suzuki, dessen Motor noch warm war, und rechts, unter einer Plane, ein abmontierter Beiwagen. Arkadi zog die Schlussleuchte, die er vom Motorrad des Ikonendiebs abgerissen hatte, aus der Tasche und hielt sie an den Metallstumpf des Schutzblechs. Sie passte.
Der Rauch eines Feuers führte ihn zu einer Hütte zwischen den Birken. Sie hatte eine Veranda, die in ein Wohnzimmer umgebaut war. Durch ein Fenster erhaschte er einen Blick von einem Klavier und einem hellen Feuer in einem Holzofen. Er pochte an die Tür, doch ein krachender Donner übertönte alle anderen Geräusche. Ein Blitz zuckte hinter ihm, als er die Tür öffnete, und erhellte kurz die Einrichtung der verglasten Veranda, bestehend aus Teppich, Korbmöbeln, Bücherregalen und Gemälden, ehe der Raum wieder im Dunkel versank. Er war einen Schritt vorgetreten, als der Himmel abermals aufriss und den Raum wie ein Scheinwerfer ausleuchtete. Eva huschte, eine Pistole in der Hand, zur Mitte des Teppichs. Sie trug einen Morgenrock und war barfuß. Die Pistole war eine Neunmillimeter, und anscheinend konnte sie damit umgehen.
»Raus hier«, sagte sie, »oder ich schieße.«
Im Wind knallte die Tür zu, und im ersten Moment dachte Arkadi, sie hätte abgedrückt. Mit der freien Hand zog sie den Morgenrock enger.
»Ich bin’s«, sagte er.
»Ich weiß.«
Er trat näher, als es für einen Augenblick wieder dunkel wurde, schob den Kragen des Morgenrocks beiseite und küsste die dünne Narbe an ihrem Hals. Sie hielt ihm die Mündung der Pistole an den Kopf, als er den Morgenrock zur Seite schob. Ihre Brüste waren klein und kalt wie Marmor.
Er hörte die Pistole knacken. Betätigte sie den Abzug, oder ließ sie langsam den Hahn nach vorn gleiten? Er spürte, wie ihre Beine zitterten. Sie drückte ihm die flache Seite der Waffe gegen den Kopf und hielt ihn fest.
Ihr Bett stand in einem Zimmer mit einem eigenen Holzofen, der vor Hitze leise pfiff. Wie sie dort hingekommen waren, wusste er nicht recht. Manchmal übernahm der Körper die Regie. Oder, wie in diesem Fall, zwei Körper. Eva rollte sich nach oben, als er in sie eindrang, und warf den Kopf zurück. Ihr Körper straffte und spannte sich wie zum Sprung, als wäre aus all der Wildheit, die er zuvor an ihr bemerkt hatte, eine unersättliche Begierde geworden. Ihm ging es nicht anders. Sie waren zwei Verhungernde, die mit demselben Löffel aßen.
Das Gewitter ging in einen Dauerregen über, Eva und Arkadi saßen an den beiden gegenüberliegenden Enden des Bettes. Das Licht einer Öllampe unterstrich das Schwarz ihrer Augen, ihres Haars und der Pistole in ihrer Hand.
»Willst du mich erschießen?«, fragte er.
»Nein. Strafe ermuntert dich nur.« Mit sachkundigem Blick musterte sie seine Kratzer und blauen Flecken.
»Einige habe ich dir zu verdanken«, sagte er.
»Du wirst sie überleben.«
»Habe ich mir auch gedacht.«
Sie deutete vage aufs Bett, wie auf ein Schlachtfeld. »Das hatte nichts zu bedeuten.«
»Mir hat es viel bedeutet.«
»Du hast mich überrumpelt.«
Er dachte darüber nach. »Nein, es war unvermeidlich.«
»Magnetische Anziehungskraft?«
»So
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