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Treue Genossen

Treue Genossen

Titel: Treue Genossen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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Vergeltung.«
    Vergeltung? Hatte Alex Vergeltung gesagt? Arkadi dröhnte noch der Schädel, und er musste seine ganze Konzentration aufbieten und weitergehen, da Alex für ihn einen Ast zur Seite bog.
    »Mein Freund Igor hat mich aus Moskau angerufen. Ja, ich hatte eine Teilzeitarbeit als Dolmetscher beim Sicherheitsdienst von NoviRus, Unfallabteilung, und das hieß gewöhnlich, vierundzwanzig Stunden am Stück in einem kleinen fensterlosen Raum warten und lesen. Oberst Oschogin residierte vielleicht in einem Büro im vierzehnten Stock, aber wir hockten im Bauch des Gebäudes. Da man unter der Erde ist, hat man immer das Gefühl, es sei Nacht. Sehr futuristisch, mit getöntem Glas als Wände. Ich begann, durch die Gänge zu wandern, und stellte fest, dass sich die Techniker, die vor den Monitoren der Überwachungskameras saßen, noch mehr langweilten als wir. Sie waren noch jung. Ich war der Einzige über Dreißig. Stellen Sie sich vor, Sie hocken im Dunkeln und starren stundenlang ununterbrochen auf eine Batterie von Bildschirmen. Wozu? Aus Angst vor Marsmenschen? Tschetschenen? Bankräubern, die sich Strumpfhosen über die Köpfe gezogen haben? Eines Tages kam ich an einem leeren Stuhl vorbei, und auf dem Bildschirm war ein Tor zu einem Palais zu sehen. Das Tor schwang auf und ließ zwei Mercedes durch. Die Autos erschienen auf einem anderen Schirm, und dann war da plötzlich Pascha Iwanow, Herr NoviRus persönlich. Nach so vielen Jahren. Er stieg mit einer schönen Frau am Arm aus einem der Wagen. Das Palais gehörte ihm. Ich hatte ihn seit Tschernobyl nicht mehr gesehen. Auf den Monitoren konnte ich verfolgen, wie er eine Prunktreppe hinaufstieg und in die Halle schritt. Hier, so sagte ich mir, war ein Mann, der alles hatte.
    Ich fragte mich, was schenkt man einem Mann, der alles hat? Im Institut arbeiteten wir mit Cäsiumchlorid. Erinnern Sie sich, wie sozial Iwanow war? An Weihnachten gab er in seinem Palais eine Party für tausend Gäste, bei der Spenden für wohltätige Zwecke gesammelt wurden. Sehr demokratisch: Mitarbeiter, Freunde, Millionäre und Kinder durften durch alle Zimmer schlendern, denn Iwanow protzte gern wie alle Neurussen. In einem Bleibehälter, der in Geschenkpapier eingeschlagen war, brachte ich ein paar Körner Cäsiumchlorid und ein Dosimeter mit, außerdem steckten Bleihandschuhe und eine Greifzange hinten in meinem Gürtel. Ich schlich mich in sein Badezimmer, nahm ein Körnchen heraus, deponierte es so, dass er darauf treten und es mit sich herumtragen musste, und stellte das Geschenk auf den Klodeckel, dazu eine Karte mit der Aufforderung, nach Tschernobyl zu kommen und zu sühnen. Ich wartete monatelang, doch Iwanow erschien nicht. Er schickte nur seinen Freund Hoffman, den fetten Amerikaner, der sich unter die Chassidim schmuggelte. Ist das zu fassen? Iwanow gab ein Gebet für die Toten in Auftrag, und Hoffman sprach es nicht einmal.«
    Auch Arkadi machte seine Sache nicht besonders gut. Taras war furchtbar schwer, und jedes Mal, wenn Arkadi einen Ast streifte oder strauchelte, rutschte er ihm von der Schulter. Arkadi wankte, aber er folgte der Stimme des anderen. Alex blieb alle paar Meter stehen und wartete. Er lockte mit der Geschichte wie mit einer Spur aus schmackhaften Happen, die man auf einen Waldweg streut. »Iwanow zog in eine Villa in der Stadt mit Wachhaus. Aber alle Leibwächter dieser Welt nutzen nichts, wenn dein Hund von einem Ausflug im Park ein oder zwei Körner in seinem Fell mitbringt und dann im Haus verteilt. Ich begann auch einen Feldzug gegen Timofejew, aber der war nur eine Nebenfigur. Kein Pascha Iwanow.
    Nach Iwanows Tod kam er natürlich bereitwillig hierher, aber davor hatten die beiden so getan, als wäre überhaupt nichts geschehen. Sie verständigten weder die Miliz noch den Sicherheitsdienst von NoviRus, bei dem ich übrigens erfolgreich tätig war. Die Techniker sahen in mir einen großen Bruder. Ich half ihnen bei ihren BWL-Fernkursen, damit sie selbst Neurussen werden konnten. Ich besorgte dem Kollegen, der die Codes verwaltete, einen Arzt, der seine Potenzstörungen behandelte, und sprang für ihn ein. Eigentlich nahm der Plan ganz von allein Gestalt an. Sehen Sie, da ist schon die Schule, oben auf der Kuppe.«
    Für Arkadi war die Schule so weit entfernt wie eine Wolke am Himmel. Er wunderte sich, dass er überhaupt so weit gekommen war. Taras, tot hin, tot her, versuchte auf jede erdenkliche Art, seinen Händen zu entgleiten. Alex half ihm

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