Treue Genossen
wundroten Augen sahen durch Arkadi hindurch. Das Hockeytrikot war ein paar Nummern zu groß. Seine Hände lagen mit nach oben gedrehten Innenflächen auf beiden Seiten des Kissens, in das Je ne regrette rien gestickt war. An einem Fuß steckte ein chinesischer Pantoffel, der andere war nackt. Es gab schlimmere Arten zu sterben als friedlich in einer Sommernacht, dachte Arkadi.
Arkadi entdeckte den zweiten Pantoffel zwei Meter hinter dem Zaun des Karussells und ließ ihn, einem beruflichen Grundsatz gehorchend, dort liegen. Er kehrte zu Katamai zurück. Sein Kinn und seine Wangen waren blutverschmiert. Wie lange war er schon tot? Er fühlte sich noch warm an, aber er hatte von Infektionen gesprochen, und ein Fieber konnte in einem Körper noch eine Stunde und länger brennen. Wahrscheinlich hatte er seit Wochen außer Wasser und Morphium nichts mehr zu sich genommen. Arkadi hatte sogar das Gefühl, dass er vor einer Minute noch gelebt haben konnte.
Warum sollte ein Mann, der friedlich sein Leben aushauchte, einen Pantoffel wegschleudern? Katamais Mund entspannte sich ein wenig, so dass die Zunge hervorlugte. Das Satinkissen zwischen seinen Händen war fleckenlos. Arkadi verstieß gegen seine Grundsätze und drehte das Kissen um. Die andere Seite war durchtränkt von Blut, das sich gerade erst braun färbte. Wie es aussah, hatte Karel aus Mund und Nase geblutet; es musste ein kurzer Kampf gewesen sein.
In diesem Augenblick tauchte Dymtrus Woropai hinter dem Karussell auf. Er trug einen Karton, der mit Flaschen und Blumen gefüllt war, und schleifte Lametta oder etwas Ähnliches hinter sich her. Arkadi begriff sofort, wie die Szene auf Dymtrus wirken musste: Er, Arkadi, mit einem blutigen Kissen über Karel Katamai gebeugt.
»He, was machen Sie da?«
»Ich habe ihn so gefunden.«
»Verdammt, was haben Sie getan?«
Dymtrus ließ den Karton fallen, Flaschen barsten. Er schwang sich über den Zaun auf der anderen Seite und kämpfte sich durch das Blütenkarussell hindurch. Arkadi legte das Kissen zwischen Katamais Hände und ging weg.
Dymtrus zerbrach die Kette am Eingang. Er kniete neben dem Sofa nieder, befühlte das Gesicht des Toten, hob das Kissen hoch.
»Nein!« Er sprang auf und schrie: »Taras!« Der Platz hallte von seiner Stimme wider. »Taras!«
Arkadi rannte.
Er rannte zu seinem Motorrad, doch eine zweite Gestalt flog von der Seite heran, teilte das Gras mit den Armen und glitt mit langen Schritten über die Steinplatten: Taras Woropai auf Inlinern. Arkadi sprang auf seine Maschine und startete sie. Wenn er die Straße nach Kiew erreichte, war er gerettet. Dymtrus schleuderte etwas Glänzendes. Einen Einkaufswagen. Arkadi wich ihm aus und wollte gerade über den Platz zurück in Richtung Landstraße fahren, als sein Hinterreifen platzte. Er stürzte zu Boden, rollte sich seitlich ab und blickte zurück. Taras kniete, in der Hand eine Pistole. Ein guter Schuss.
Arkadi sprang auf. Als er noch ein Junge war und sein Vater ihn mit zur Jagd nahm, brüllte der General immer »Lauf, Kaninchen!«, denn es machte ihm keinen Spaß, auf ein still sitzendes Kaninchen zu schießen. »Fuchtel mit den Armen«, befahl er Arkadi. »Du sollst mit den Armen fuchteln, verdammt.«
Arkadi fuchtelte mit den Armen, das Kaninchen fuhr erschreckt hoch, und der alte Herr verpasste ihm eine Kugel.
Taras zog die Inliner aus und Stiefel an, während Dymtrus die Verfolgung fortsetzte. Arkadi stürmte in die Schule, vorbei an der Schiefertafel, auf der »Lebt wohl!« stand. In der dunklen Eingangshalle stolperte er über eine Kiste mit Gasmasken. Sie flogen zappelnd wie Gummifische aus der Kiste. Er konnte nicht viel sehen, die Erinnerung lenkte seine Schritte. Er rannte in Richtung der Küche im rückwärtigen Teil des Gebäudes. Die Küchenwände waren weiß gekachelt. Ein Teigbottich von der Größe einer Schubkarre stand auf seinen Beinen. Alle Backofentüren waren aufgeklappt oder abgebrochen. Doch der Hinterausgang war letzte Woche mit Brettern vernagelt worden. Wir hätten vorher proben sollen, sagte der Komiker in ihm. Er blickte aus dem Fenster. Draußen standen Stühle für Mitarbeiter, die Zigarettenpause machten. Er überlegte, ob er das Fenster mit einer losen Backofentür einschlagen sollte, da entdeckte er, dass Dymtrus hinter eine Birke lauerte. Er rannte in die Eingangshalle zurück und spähte aus dem Fenster. Taras bewegte sich auf die Tür zu.
Er sprang, immer zwei Stufen auf einmal nehmend und Flaschen
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