Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Treue Genossen

Treue Genossen

Titel: Treue Genossen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
Vom Netzwerk:
er.
    »Was meinen Sie?«
    »Wer ist es dann wert? Nur gute Menschen? Heilige? Was gibt den Ausschlag? Wessen Ermordung ist eine Untersuchung wert? Was gibt den Ausschlag, welche Mörder wir laufen lassen?«
    »Schnappen Sie jeden Mörder?«
    »Nein. Um ehrlich zu sein, so gut wie keinen.«
    Alex musterte Arkadi mit traurigem Blick. »Sie sind ja total verrückt. Ich bin beeindruckt. Und das ist nicht nur so dahingesagt.«
    »Alex, tanzt du jetzt mit mir oder nicht?« Eva Kaska zog ihn am Arm. »Um der alten Zeiten willen.«
    Arkadi beneidete sie. Die Szene hatte etwas Verzweifeltes. Im Allgemeinen war es der Gesundheit von Soldaten nicht zuträglich, wenn sie in Tschernobyl stationiert waren. Die Ukraine war noch ärmer als Russland, und »Gefahrenzulage« bedeutete herzlich wenig, wenn der Sold regelmäßig zu spät oder überhaupt nicht kam und sich unter den gegebenen Umständen kaum für etwas Besseres verwenden ließ, als sich zu betrinken. Bei den Wissenschaftlern lag der Fall anders. Es gab verschiedene Teams, die an unterschiedlichen Projekten arbeiteten. Die Männer hatten langes, die Frauen zerzaustes Haar, und alle waren eins im Geiste und fühlten sich wie Wissenschaftler auf einem Asteroiden, der auf die Erde zuraste. Ihre Arbeit hatte ihre Schattenseiten, aber sie war mit Sicherheit einmalig.
    Eva legte Alex beim Tanzen den Kopf auf die Schulter. Ukrainische Frauen galten als gefühlvolle Schönheiten mit rehbraunen Augen, aber Kaska sah aus, als würde sie jedem den Kopf abreißen, der ihr ein Kompliment machte. Sie war zu blass, zu dunkelhaarig, in allem zu extrem. Die Art, wie sie und Alex tanzten, ließ auf eine frühere Liaison schließen, auf eine augenblickliche Waffenruhe in einem langjährigen Krieg. Arkadi wunderte sich, dass er darüber Spekulationen anstellte, und führte es auf seine soziale Isolation zurück.
    Warum war er in Tschernobyl? Wegen Timofejew? Wegen Iwanow? Mittlerweile war er davon überzeugt, dass Iwanow Selbstmord begangen hatte. Einen Selbstmord der schlimmeren Art. Ein Team von Strahlenschutzexperten in Bleianzügen hatte festgestellt, dass der Salzhaufen in Iwanows Wandschrank mit geringen Mengen Cäsium 137 in Salzform belastet war. Auf eine Million Salzkörner kam ungefähr ein Korn Cäsium, aber das genügte. Es war eine Stecknadel in einem Heuhaufen. Äußerlich waren Natriumchlorid und Cäsiumchlorid nicht zu unterscheiden. Doch die Auswirkungen auf die Gesundheit konnten kaum unterschiedlicher sein. Drei Sekunden Kontakt mit einem Gramm reinem Cäsium 137 konnten tödliche Folgen haben, und wenn ein Korn Cäsiumchlorid auch eine kleinere, harmlosere Variante war, so hatte es doch immer noch eine durchschlagende Wirkung. Paschas Magen war so radioaktiv verstrahlt, dass man die zweite Obduktion abbrechen und die Pathologie räumen musste. Er wurde in einem bleiverkleideten Sarg begraben. Der Salzstreuer, den Viktor auf dem Gehweg unter Iwanow gefunden hatte, war das heißeste Objekt von allen gewesen, eine Bombe, die so starke Gammastrahlen aussandte, dass sich das Glas grau verfärbte. Zum Glück war der Salzstreuer in einer unbemannten Asservatenkammer aufbewahrt worden, wo er von den Spezialisten mit Hilfe von Zangen geborgen und in einen doppelwandigen Behälter aus zehn Zentimeter dickem Blei überführt wurde. Arkadi und die Spezialisten fuhren in die früheren Wohnungen, aus denen Iwanow überstürzt ausgezogen war, und stellten fest, dass sein Landhaus und seine Villa in der Stadt auf die gleiche todbringende Weise präpariert worden waren. Hatte Iwanow Bescheid gewusst? Er hatte die Vermietung beider Häuser untersagt, niemanden in seine Wohnung gelassen und ein Dosimeter bei sich getragen. Ja, er hatte Bescheid gewusst. Arkadi dachte an das Salz, das er sich in der Wohnung vom Finger geleckt hatte, und ein Schauder lief ihm über den Rücken.
    Nicht anders war es in Timofejews Palais, das noch aus vorrevolutionärer Zeit stammte. Er hatte Besucher nicht ausgesperrt, denn ihm fehlte Paschas Charakterstärke, aber die Flure und Zimmer seines luxuriösen Domizils glichen einem radioaktiven Labyrinth. Kein Wunder, dass der Mann nervös war und vom Fleisch fiel. Nachdem Arkadi und Viktor den Palast mit Dosimetern durchstreift hatten, konsultierten sie vorsichtshalber den Milizarzt, der ihnen Jodtabletten gab und versicherte, sie seien keiner größeren Strahlenbelastung ausgesetzt gewesen als ein Passagier beim Flug von Sankt Petersburg nach San Francisco.

Weitere Kostenlose Bücher