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Treue Genossen

Treue Genossen

Titel: Treue Genossen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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und weiß gestrichene Grabmale, geschmückt mit Plastikblumen, künstlich aussehenden Rosen und Orchideen. Seit dem Reaktorunglück waren Beerdigungen verboten. Der Boden war zum Graben zu stark radioaktiv verseucht. Hier, am Friedhofstor, hatte man eine Woche nach Pascha Iwanows Selbstmord Nikolai Timofejew tot aufgefunden.
    Der erste Bericht der Miliz klang sehr spärlich: Bei der Leiche, die ein namentlich nicht genannter »Selbstsiedler«, wie die illegalen Bewohner offiziell genannt wurden, entdeckt hatte, waren weder Geld noch eine Armbanduhr gefunden worden. Als Todesursache wurde Herzstillstand angegeben. Tage später wurde die Todesursache korrigiert. Nun war die Rede von einem »fünf Zentimeter langen, mit einer scharfen, ungezackten Klinge beigebrachten Schnitt am Hals, der Luftröhre und Drosselvene durchtrennt hatte«. In einem späteren Schreiben erklärte die Miliz die Konfusion damit, dass sich Wölfe an der Leiche zu schaffen gemacht hätten. Arkadi fragte sich, ob diese Ausrede einem früheren Jahrhundert entstammte.
    Er lauschte dem gedämpften Flügelschlag einer Eule und dem leisen Rascheln, das wahrscheinlich vom Ableben einer Maus kündete. Laub wirbelte um das Motorrad.
    Ganz Tschernobyl fiel wieder an die Natur zurück. Manchmal konnte er förmlich sehen, wie sie näher kroch.
     
    Tschernobyl ließ sich mit einer Zielscheibe vergleichen. Die Reaktoren bildeten das Schwarze und zwei Kreise mit einem Radius von zehn und dreißig Kilometern die Ringe. Die Geisterstadt Pripjat lag im inneren Kreis und das alte Tschernobyl, das dem Kraftwerk den Namen gegeben hatte, weiter entfernt im äußeren. Beide Kreise zusammen bildeten die Sperrzone.
    Kontrollpunkte blockierten die Straße in zehn und dreißig Kilometer Entfernung, und obwohl die Häuser in Tschernobyl leer standen, waren für die Sicherheitskräfte eigens Unterkünfte gebaut worden. Das soziale Leben in der Sperrzone beschränkte sich auf das einzige Cafe der Stadt, das so aussah, als sei es an einem Wochenende hingeklatscht worden. Zwanzig Gäste fanden bequem darin Platz, doch heute hatten sich fünfzig hineingezwängt, und was war tröstlicher als die Berührung anderer Körper, was schmackhafter als Dörrfisch und Schokoriegel, Nüsse und Chips? Arkadi bestellte sich ein Bier und Erdnüsse, verdrückte sich in eine Ecke und sah den Paaren zu, die zu einer Musik tanzten, die wie eine Mischung aus Hip-Hop und Polka klang. Die Männer waren ausnahmslos mit Tarnanzügen bekleidet, die sie Camos nannten, und die Frauen trugen Pullover, bis auf ein paar junge Sekretärinnen, die es selbst in unmittelbarer Nachbarschaft der Katastrophe nicht ertragen konnten, schlecht angezogen zu sein. Eine Wissenschaftlerin hatte heute Geburtstag, und deshalb musste wiederholt mit Champagner und Weinbrand angestoßen werden. Der Zigarettenqualm war so dick, dass Arkadi sich auf dem Grund eines Swimmingpools wähnte.
    Ein Wissenschaftler namens Alex brachte ihm einen Weinbrand.
    »Zum Wohlsein! Wie lange sind Sie schon bei uns, Renko?«
    »Danke.« Arkadi leerte das Glas auf einen Zug und hielt aus Angst zu explodieren die Luft an.
    »Recht so. Die Leute hier geben sich alle Mühe, betrunken zu werden. Seien Sie kein Spielverderber. Wie lange also?«
    »Drei Wochen.«
    »Drei Wochen, und trotzdem so unhöflich? Eva hat Geburtstag, Sie müssen ihr wenigstens einen Kuss geben.«
    Eva Kaska war eine junge Frau mit struppigem schwarzem Haar, das Arkadi an eine nasse Katze erinnerte. Selbst sie trug einen Tarnanzug.
    »Wir sind uns begegnet. Ich habe Doktor Kaska die Hand gegeben.«
    »War sie unfreundlich? Das liegt daran, dass sich Ihre Kollegen aus Moskau wie Schwachköpfe aufgeführt haben. Zuerst trampelten sie überall herum, und dann hatten sie Angst, überhaupt irgendwo den Fuß hinzusetzen. Zu der Zeit, als Sie kamen, waren die brüderlichen Beziehungen schon im Arsch.«
    Alex war ein groß gewachsener Mann mit der langen Nase eines Zynikers. Seine Miene hellte sich auf, als ein Hauptmann in Milizblau eintrat, gefolgt von zwei Unteroffizieren, die Camos und Strickmützen trugen. »Ihr Fanklub. Die finden es einfach prima, wie Sie ihr Leben kompliziert haben. Kommen Sie sich nicht manchmal wie der unbeliebteste Mann der Zone vor?«
    »Bin ich das?«
    »Per Akklamation. Sie müssen Ihre Ermittlungen mal vergessen und das Leben genießen. Wo immer man ist, da ist man, sagen die Leute in Kalifornien.«
    »Nur dass sie in Kalifornien sind.«
    »Guter

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