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Treue Genossen

Treue Genossen

Titel: Treue Genossen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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verfolgt hatte. Ein Ukrainer, der Russisch sprach und wusste, wer er war. Eine penetrante Stimme, heiser vom jahrelangen Rauchen. Keine identifizierbaren Geräusche im Hintergrund. Eine Festnetzleitung, keine Störungen. Arkadi blickte zu Oxana. Sie entfernte sich Schritt um Schritt.
    »Ja.«
    »Sie wollen mit mir reden, und Sie sind bereit, dafür zu bezahlen?«
    »Ganz recht.«
    Oxana stahl sich in Richtung Platz davon. »Sie sind nett«, flüsterte sie. »Sehr nett. Nur … bleiben Sie nicht zu lange.«
    »Worüber?«
    »Vor zwei Monaten wurde auf einem Friedhof bei Tschernobyl die Leiche eines Moskauer Geschäftsmannes aufgefunden. Ich untersuche den Fall.«
    »Können Sie in amerikanischen Dollars zahlen?«
    »Ja.«
    »Dann haben Sie Glück, ich kann Ihnen nämlich helfen.«
    »Was wissen Sie?«
    »Mehr als Sie, möchte ich wetten, denn Sie sind seit einem Monat hier und wissen gar nichts.«
    Je länger sie sprachen, desto deutlicher vernahm Arkadi ein zischendes S und das Kratzen eines unrasierten Kinns. Arkadi gab ihm einen Namen: der Klempner.
    »Zum Beispiel?«
    »Zum Beispiel, dass Ihr Geschäftsmann steinreich war und es um eine Menge Geld ging.«
    »Vielleicht. Was wissen Sie?«
    Arkadi beobachtete, wie Oxana am Supermarkt vorbeilief und um die Ecke verschwand.
    »O nein, nicht am Telefon«, sagte der Klempner »Wir sollten uns treffen«, schlug Arkadi vor. »Aber Sie müssen mir ungefähr sagen, was Sie wissen, damit ich eine Ahnung habe, wie viel Geld ich mitbringen muss.«
    »Alles.«
    »Das klingt wie nichts.« Und das entsprach dem Eindruck, den Arkadi vom Klempner hatte. Ein Wichtigtuer. »Zehntausend Dollar.«
    »Wofür?«
    Plötzlich hatte der Klempner es eilig. »Ich rufe Sie morgen früh wieder an und sage Ihnen, wo wir uns treffen können.«
    »Tun Sie das«, erwiderte Arkadi, obwohl der Klempner bereits aufgelegt hatte.
    Auf der Rückfahrt beförderte der Zug die kleinere Belegschaft der Nachtschicht, ausnahmslos Männer. Die meisten schliefen mit dem Kinn auf der Brust. Was gab es schon zu sehen? Wolken verdunkelten den Mond, und der Waggon glitt durch eine schwarze Landschaft mit evakuierten Bauernhöfen und Dörfern, wobei nur das Rattern der Räder verriet, dass er fuhr. Dann huschte ein Signallicht am Fenster vorbei wie ein Gesicht, und Arkadi war hellwach.
    Paschas Tod ließ sich schwer nachvollziehen, weil er bereits ein sterbender Mann gewesen war. Er hatte ein Dosimeter. Er wusste, dass er sterben würde und woran. Das war Teil des Martyriums. Arkadi stellte sich vor, wie Pascha zumute gewesen sein musste, als er merkte, was gespielt wurde. Pascha war ein geselliger Typ, einer von den Hemdsärmeligen, die, wie Rina es ausgedrückt hatte, das Jackett ablegten und sich amüsierten. Wie hatte es angefangen? Hatte ihm jemand im Trubel einer Party einen Salzstreuer und ein Dosimeter in die Tasche seines Jacketts geschmuggelt? Ein Dosimeter, das stumm geschaltet war? Arkadi stellte sich Paschas Gesicht vor, als er die Messwerte las und sich dann diskret zurückzog und zum Wagen eilte. Die Dosis dürfte nicht allzu hoch gewesen sein, nur eine Art erster Warnschuss. »Wir haben das radioaktive Wasser direkt in die Moskwa geleitet«, hatte Timofejew gesagt, und so wäre es nichts Neues gewesen, wenn er unterwegs angehalten und den Salzstreuer aus dem Wagenfenster geworfen hätte. Aber von nun an war Pascha verwundbar. Ohne Dosimeter war Speisesalz von Cäsiumchlorid nicht zu unterscheiden, und mit Salz wurde jedes Essen gewürzt oder bestreut. Es war überall, im Plastikstreuer der billigsten Kneipe ebenso wie im Kristallstreuer des elegantesten Restaurants. Wie konnte er noch unbesorgt essen? Oder mit der Außenwelt Kontakt halten, wenn ein kaum sichtbares Körnchen in einem Brief zu ihm gelangen oder von einem Passanten, der ihn auf der Straße streifte, auf seine Kleidung übertragen werden konnte. Und was sollte er schließlich tun, als er einen strahlenden Salzhaufen in seinem Wandschrank entdeckte? Wie sollte er ein giftiges Korn unter einer Million ungiftiger herausfinden?
    Und so würde es weitergehen. Auch Timofejew war ins Visier geraten. Und durch ihre bloße Nähe auch Rina. Pascha und Timofejew waren blass gewesen. Ihr Nasenbluten war typisch für einen Mangel an Blutplättchen. Sie konnten weder essen noch trinken. Mit jedem Tag wurden sie schwächer und einsamer. Und dann in Paschas Wohnung, seiner letzten Zuflucht, dieser strahlende Salzhaufen im Schrank. Mit einem Salzstreuer

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