Treue Genossen
Äußerung von ihr zu warten war, wie einen glatten Teich zu betrachten.
Katamai füllte die Gläser halb mit Wodka und reichte eines Arkadi.
»Auf Karel«, sagte er. »Wo immer er stecken mag.« Der alte Mann legte den Kopf zurück, trank den Wodka in einem Zug und beobachtete aus dem Augenwinkel, ob Arkadi und Oxana seinem Beispiel folgten. Er mochte im Rollstuhl sitzen, aber er war noch immer der Chef. Arkadi fragte sich, wie es wohl sein mochte, wenn man als ehemaliger Bauleiter eines solchen Großprojekts mit einer so kleinen Arena vorlieb nehmen musste. Katamai schenkte nach. »Renko, Sie sind in den richtigen Teil der Ukraine gekommen. Die Leute in der Westukraine wünschen Russland zum Teufel. Sie tun so, als könnten sie kein Russisch. Sie halten sich für Polen. Wir im Osten der Ukraine haben nichts vergessen.« Er erhob sein Glas. »Auf …«
»Ich würde Ihnen vorher gern ein paar Fragen stellen«, sagte Arkadi.
»Auf die verfluchten Russen«, sagte Katamai und leerte sein Glas.
Arkadi schlug die Akte auf, die er mitgebracht hatte, und reichte die Fotografie eines ungeduldig wirkenden jungen Mannes mit noch unfertigen Zügen herum: spitze Nase, schmaler Mund, herausfordernder Blick in die Kamera.
»Das ist mein Bruder«, sagte Oxana.
»Karel Olexandrowitsch Katamai, 22, geboren in Pripjat, Ukrainische Republik.« Dann kam Arkadi auf den Punkt.
»Zwei Jahre Militärdienst, Ausbildung zum Scharfschützen. Ist er ein guter Schütze?«
»Was er erlegt, ist es jedenfalls noch wert, ausgestopft zu werden. Wenn Sie das unter einem guten Schützen verstehen.«
»Zweimal wegen körperlicher Misshandlung neuer Rekruten degradiert.«
»Schleifen hat bei der Armee Tradition.«
Wohl wahr, dachte Arkadi. Manche Burschen wurden so geschliffen, dass sie sich einen Strick nahmen. Karel musste aus den Schleifern herausgeragt haben.
»Ein Disziplinarverfahren wegen Diebstahls.«
»Wegen des Verdachts auf Diebstahl. Man konnte ihm nichts nachweisen, sonst hätte man ihn in den Bau gesteckt. Er schlägt manchmal über die Stränge, aber er ist ein guter Junge. Er war nicht vorbestraft, sonst hätte er hier nicht zur Miliz gehen können.«
»Bei der Miliz kam er häufig zu spät zum Dienst oder fehlte unentschuldigt.«
»Er hat gelegentlich für mich gejagt. Wir haben das alles mit seinem Chef geklärt.«
»Hauptmann Martschenko?«
»Ja.«
»Was hat er gejagt? Füchse oder Luchse? Wölfe?«
»Ein Wolf wäre optimal.« Katamai rieb sich bei dem Gedanken die Hände. »Wissen Sie, wie viel Geld ein anständig präparierter Wolf bringt?«
»Karels Vater ist in Afghanistan gefallen. Wer hat Karel das Jagen beigebracht?«
»Ich. Damals hatte ich noch zwei funktionierende Beine.«
»Wo ist Karels Mutter?«
»Was weiß ich. Sie hat die ganze Propaganda nach dem Unfall geglaubt. Ich habe mit führenden Wissenschaftlern gesprochen. Das Problem in Tschornobyl ist nicht die Strahlung, sondern die Angst vor der Strahlung. Es gibt ein Wort dafür: Radiophobie. Karels Mutter hatte eine Radiophobie. Deshalb ist sie fort. Diese Leute sollten sich eigentlich glücklich schätzen. Der Staat hat eigens für sie Pripjat und später Slawutitsch gebaut. Er hat ihnen Spitzenlöhne gezahlt. Sie hatten die besten Schulen, die beste medizinische Versorgung, den besten Lebensstandard. Doch das ukrainische Volk leidet unter Radiophobie. Wie auch immer, jedenfalls ist Karels Mutter schon vor Jahren abgehauen. Ich habe ihn großgezogen.«
»Ihn gekleidet, genährt, in die Schule geschickt?«
»Die Schule war Zeitverschwendung. Er sollte Jäger werden, er war kein Stubenhocker.«
»Seit warm sitzen Sie im Rollstuhl?«
»Seit zwei Jahren, die Folge eines Explosionsunglücks. Ich habe für die Feuerwehr einen Kran bedient, als ein Teil des Dachs runterkam. Es kam runter wie ein Meteor und hat mir das Rückgrat gebrochen. An der Wand hängt eine lobende Erwähnung. Darin können Sie alles nachlesen.«
»War Karel jemals in Moskau?«
»Er war in Kiew. Das genügt.«
»Haben Sie ihn gesehen, seit er in der Sperrzone die Leiche gefunden hat?«
»Nein.«
»Etwas von ihm gehört?«
Arkadi bemerkte, dass Oxana in eine Ecke blickte, in der ein weiterer Eimer mit Gerblösung und einer Haut darin stand. Katamai mangelte es offenbar nicht an Nachschub für sein Hobby, obwohl er seinen treffsicheren Enkel angeblich seit Monaten nicht gesehen hatte.
»Nichts«, antwortete Katamai, »kein Wort.«
»Sie scheinen sich keine Sorgen zu
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