Treue Genossen
Augenblick lang meinte er das Tuckern eines Außenbordmotors zu vernehmen, vermochte aber nicht mit Bestimmtheit zu sagen, aus welcher Richtung es kam oder ob er überhaupt etwas gehört hatte. Das Einzige, was er mit Sicherheit hörte, war das Plätschern seiner Wasser schaufelnden Ruder.
Er war eine halbe Stunde am Damm entlanggerudert, als er über seine Schulter spähte und zwei Schornsteine erblickte, die, rot und weiß, im Nebel schwebten. Dunst hüllte ihn ein, als er den Kurs änderte und genau auf die Kraftwerksschlote zuhielt. Er kehrte in Ufernähe zurück, bis er sie wieder sichtete, ruderte ein Stück auf den See hinaus, kehrte wieder ans Ufer zurück. Vielleicht würde ja doch noch alles klappen. Der Klempner würde tuckernd aus dem Nebel auftauchen, und sie würden miteinander reden.
Er ruderte auf den See hinaus, bis er sich genau in der Mitte wähnte, und wartete. Alle ein, zwei Minuten wendete er das Boot und spähte in die andere Richtung. Weit entfernt, am Rand seines Blickfelds, sah er Boote, aber keines kam näher. Zehn Minuten verstrichen. Zwanzig. Dreißig. Er sehnte sich nach einer Zigarette, Regen hin oder her.
Er wollte gerade zurückrudern, als er ein Klirren vernahm und ein Boot aus dem Regen auftauchte. Es trieb seitlich auf ihn zu und bestand aus Aluminium wie seines. Am Heck war ein kleiner Außenbordmotor angebracht, und am Bug schlenkerte eine Kette. Der Motor war aus. Eine leere Wodkaflasche kullerte nach vorn, als er das Boot festhielt. Sonst befand sich nichts darin, keine Zigarettenkippe, keine Angel, kein Paddel.
Arkadi band das leere Boot ans Heck und ruderte hinüber zur Reaktorseite des Sees, wo er ein Boot ausgemacht hatte. Er konnte sich nicht vorstellen, wen es außer dem Klempner oder Vanko bei einem solchen Wetter ins Freie trieb, aber vielleicht hatte der Insasse des Bootes jemanden gesehen oder wusste, wem der herrenlose Kahn gehörte. Das Abschleppen gestaltete sich schwierig. Nach jedem Ruderschlag rammte der Kahn Arkadis Heck und erzeugte den Ton einer sachte getretenen Basstrommel, die passende Begleitmusik zu einem vergeudeten Tag.
Das andere Boot war noch fünfzig Meter entfernt, als Arkadi zwei Männer darin bemerkte, und obwohl der Regen immer stärker wurde, erkannte er im Näherkommen, dass es die Woropais waren. Dymtrus stand, und Taras saß. Beide schauten direkt neben ihrem Boot ins Wasser, dann kniete Dymtrus nieder und zog einen Körper aus dem See. Es war eine Frau mit langen schwarzen Haaren. Nach ihrer grauen Haut zu urteilen, hatte sie lange im Wasser gelegen, aber sie war schlank und geschmeidig. Ihr Gesicht war abgewendet, ein langes Kleid klebte an ihren Armen und ihrem glatten Rücken. Einen Augenblick lang verharrte sie reglos, doch im nächsten schlug sie um sich und brachte beinahe das Boot zum Kentern.
Taras stützte sich auf das Dollbord und stabilisierte das Boot. Er bemerkte Arkadi im Regen und brüllte: »Eine Kämpfernatur.«
Arkadi hörte auf zu rudern. Wo eben noch die Frau gewesen war, sah er jetzt einen Wels, mindestens sechzig Kilo schwer, ein schlüpfriges, schuppenloses Monster, das sich von einer Seite auf die andere wälzte und ihm ein stumpfes Gesicht mit gallertartigen Augen zuwandte. Bartfäden sprossen von seinem Maul, und etwas, das wie eine triefend nasse Stickereiarbeit aussah, fiel ins Wasser.
»Mit dem Netz gefangen?«, fragte Arkadi.
»Anders kriegt man sie nicht raus«, antwortete Dymtrus, »sie sind zu schwer.«
»Tschornobyl-Riesen«, rief Taras. »Mutanten. Leuchten im Dunkeln.«
»Dann fangt sie doch nicht.« Arkadi bemerkte, dass die Worodais Schusswaffen am Gürtel trugen. Wahrscheinlich konnte er von Glück sagen, dass sie nicht mit Handgranaten fischten. »Lasst ihn frei.«
Dymtrus breitete die Arme aus. Mit einem lauten Klatschen fiel der Fisch ins Wasser, wirbelte an der Oberfläche und sackte dann wie ein Stein in der Tiefe. »Keine Sorge, wir machen das nur zum Spaß. Da unten gibt es noch größere Brocken.«
»Doppelt so große«, sagte Taras.
Die Brüder grinsten kühl und berechnend.
»Wir würden nie einen essen«, erklärte Dymtrus. »Die sind voll mit allem möglichen radioaktiven Scheiß.«
»Wir sind ja nicht verrückt.«
Arkadi spürte, wie sich sein Puls beruhigte. Er deutete auf das leere Boot. »Ich suche den Mann, der damit unterwegs war.«
Die Woronais zuckten mit den Schultern und fragten, woher er denn wisse, dass jemand darin gesessen habe. Die Leute versteckten rings um
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