Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Treue Genossen

Treue Genossen

Titel: Treue Genossen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
Vom Netzwerk:
mitbringen.
    Arkadis Camo und Mütze waren einigermaßen wasserundurchlässig, und mit gleichmäßigen Ruderschlägen hatte er sich bald von den Schiffswracks und verfallenden Piers entfernt. Er tauchte die Hand ins Wasser. Es war braun von den Torfmooren flussaufwärts und kräuselte sich leicht im Nieselregen. Vor ihm erstreckte sich ein von zahllosen Kanälen durchzogenes Flachland, dessen Anblick nur Kiefern und Weiden erträglicher machten. Vom Yachtklub aus musste er zunächst einmal vier Kilometer gegen die Strömung rudern, ehe er den Kühlsee erreichte. Er blickte auf die Uhr. Er hatte zwei Stunden für die gesamte Strecke, und sollte er sich verspäten, würde der Klempner bestimmt auf ihn warten. Und auf seine hundert Dollar.
    Arkadi besaß das Geld nicht, aber er konnte sich die Gelegenheit zur Kontaktaufnahme nicht entgehen lassen.
    Dass er es nicht hatte, konnte ihm sogar einen sicheren Abzug garantieren, falls der Klempner nur die Absicht verfolgte, ihn auszurauben.
    Feiner Nebel stieg vom Ufer auf, blieb in den Birken hängen, wurde weggeweht. Frösche plumpsten ins schützende Wasser. Arkadi stellte fest, dass man beim Rudern in einen tranceartigen Zustand fiel. Ein Schwan schwebte vorüber, eine weiße Erscheinung, die sich dazu herabließ, den Kopf in seine Richtung zu wenden. Es war, wie Vanko gesagt haben könnte, nicht die schlechteste Art, einen Tag zu verbringen.
    Mal verbreiterte sich der Fluss und verschlammte, mal verengte er sich zu einem Tunnel aus Bäumen, und die meiste Zeit fragte sich Arkadi, was er eigentlich tat. Er war hier nicht in Moskau, ja nicht einmal in Russland. Er befand sich in einem Land, in dem man die Russen nicht vermisste. In dem man einen toten Russen wochenlang auf Eis legte. Und in dem ein schwarzes Dorf ein idealer Platz für ein Abendessen war.
    Eine Stunde später war Arkadi in einen so gleichmäßigen Rhythmus verfallen, dass er einen Augenblick brauchte, ehe er den Schilderwald am Strand registrierte. Er war am Ziel. Er ruderte schneller, setzte das Boot auf den Strand, sprang ans Ufer, zog das Boot über den Sand und einen Damm hinauf, der den Fluss von dem künstlichen Kühlsee trennte. Der See hatte eine Länge von zwölf und eine Breite von drei Kilometern. Vier Atomreaktoren brauchten eine Menge Kühlwasser. Als das Kraftwerk noch Strom produzierte - da waren in Tschernobyl vier Reaktoren am Netz und zwei weitere im Bau -, war über ein System von Kanälen unablässig Wasser aus dem See zu den Meilern und über einen Hauptabfluss wieder zurückgeleitet worden. Jetzt sah der See aus wie eine starre, in Nebel gehüllte Masse granitschwarzen Wassers.
    Die Dammstraße endete an einem Drahtzaun, der auf einer Seite niedergetrampelt war, als wollte er sagen: »Hier entlang.«
    Schösslinge hatten die Betonplatten der Uferbefestigung angehoben und gelockert. An einer Stelle war ein rotes Hemd an einen Ast gebunden. Dort hatten sich die Platten so gegeneinander verschoben, dass man wie auf Stufen zum Wasser hinabsteigen konnte. Arkadi blickte auf sein Dosimeter, das mit wachsendem Interesse tickte, ließ das Boot zu Wasser und stieß sich beim Einsteigen ab.
    Bei schönem Wetter wäre der Kühlsee ein idealer Treffpunkt gewesen. Mit einem Fernglas hätte sich der Klempner vergewissern können, dass Arkadi allein war und weit und breit niemand, der ihm zu Hilfe eilen konnte. Zweifellos hatte der Klempner im Unterschied zu ihm einen Außenbordmotor. Was immer er vorhaben mochte, Arkadi hatte ein ungutes Gefühl dabei, dass er ihm, über die Ruder gebeugt, rückwärts entgegenfuhr. Und der Regen wurde stärker. Die Sichtweite betrug nur noch hundert Meter und nahm weiter ab. Menschen machten Fehler, wenn sie schlechte Sicht hatten. Sie deuteten falsch, was sie sahen, oder sahen Dinge, die gar nicht existierten. Was wusste er eigentlich über den Klempner? Aus ihrem kurzen Telefongespräch schloss er, dass der Mann höchstwahrscheinlich kein erfahrener Profi war. Er tippte eher auf einen schlampigen Ukrainer mittleren Alters mit schlechtem Zahnersatz. Wahrscheinlich hatte er in Pripjat gewohnt und, wie seine Wahl des Treffpunkts vermuten ließ, im Kraftwerk gearbeitet. Eher ein Plünderer als ein Wilderer, ein Mann, der einen Hammer statt einer Schusswaffe bei sich trug, sofern das ein Trost war.
    Arkadi blieb in Sichtweite des Damms, um die Orientierung nicht zu verlieren, und schaute regelmäßig auf die Uhr, um abschätzen zu können, wie weit er schon war. Einen

Weitere Kostenlose Bücher