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Treue in Zeiten Der Pest

Treue in Zeiten Der Pest

Titel: Treue in Zeiten Der Pest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Espen
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Niemand weiß, woher die großen Seuchen kamen, die früher auf Erden gewütet haben. Ihr plötzliches Auftauchen und ebenso plötzliches Verschwinden lassen tatsächlich eine Gottesstrafe vermuten. Vielleicht liegen die Ursachen für solche Seuchen aber auch woanders verborgen, und wir konnten sie nur noch nicht finden.«
    »Wir müssen sie aber finden!«
    »Das versuchen die Medici. Aber sie müssen aufpassen, dass sie bestimmte Grenzen nicht überschreiten. Die Kirche ist sehr empfindlich.«
    Als Sean gerade etwas erwidern wollte, polterte Uthman in die Kammer. »Wir scheinen nicht gerade in einem sauberen Haus abgestiegen zu sein«, beschwerte er sich. »Draußen liegen zwei tote Viecher herum.«
    »Zwei Ratten?«, stieß Henri überrascht hervor. »Eben war es doch nur eine. Seltsam, ich muss die zweite wohl übersehen haben.«
    Sie traten auf den Flur. Die beiden Ratten lagen übereinander, als hätten sie sich in Todesangst zusammengekauert. Und aus ihren Schnauzen sickerte Blut.
     
     
    Nachdem Henri seinen Knappen zum Herbergswirt geschickt hatte, damit er diesen bat, die verendeten Tiere zu beseitigen, nahm er Uthman mit in seine Kammer und erzählte ihm von Joshuas Verdacht.
    Kurz danach hörten die Gefährten vom Flur her die Stimme des Wirts, der lautstark sein sauberes Haus verteidigte und nicht glauben wollte, dass es dort auch nur eine einzige Ratte gab. Als Sean ihm die toten Tiere zeigte, war er empört und kündigte an, die Schlingel, die ihm die Ratten untergeschoben hätten, zu finden und ihnen die Ohren lang zu ziehen.
    Uthman und Henri schwiegen, solange sie Geräusche vom Flur her vernahmen. Erst als sie hörten, dass Sean wieder in seine Kammer gegangen war, sprachen sie weiter.
    »In meiner Heimat hat es Epidemien gegeben, von denen im Abendland noch nie jemand gehört hat«, sagte der Sarazene. »Lange Zeit traten sie immer wieder auf. Doch irgendwann gelang es unseren Ärzten, sie in den Griff zu bekommen.«
    »Arabische Ärzte haben die Pest besiegt?«, fragte Henri ungläubig.
    »Unsere Ärzte sind groß. Der größte war Ibn Sina, der in Isfahan lehrte und arbeitete und seine Erkenntnisse niederschrieb. Arabische Mediziner unterliegen nicht so großen Beschränkungen wie die Medici des Abendlands. Sie hatten nie Scheu davor, Tote zu öffnen und in ihr Inneres zu blicken. Sie besitzen daher ein genaues Bild vom Menschen – von außen ebenso wie von innen. Deswegen werden in meiner Heimat viele Krankheiten früh entdeckt, und man kennt nun Abwehrmaßnahmen und Heilmittel dagegen.«
    »Wenn Angélique wirklich von der Pest befallen ist, dann ist die ganze Stadt bedroht. Was können wir dann tun?«
    »Die Pest ist nicht heilbar«, sagte Uthman. »Sie ist aber keine Strafe Gottes, wie es früher oft vermutet wurde, sondern sie entsteht durch eine Vergiftung des Blutes.«
    »Wie muss man sich das vorstellen? Was geschieht im Körper?«
    »Ich bin kein Gelehrter. Aber durch die Lektüre der Schriften von Ibn Sina weiß ich, dass wir überwiegend aus Flüssigkeit bestehen.« Als Henri bei dieser Behauptung die Stirn kraus zog, wiederholte Uthman seine Worte, um ihnen mehr Gewicht zu verleihen. »Ja, aus Flüssigkeit!«, sagte er. »Es gibt insgesamt vier Körpersäfte: Blut, Schleim, gelbe und schwarze Galle. Diese Säfte stehen in einem bestimmten Verhältnis zueinander, und manchmal kann es geschehen, dass dieses Verhältnis durcheinander gerät. Woran das liegt, weiß niemand. Wenn es aber zu einem Überschuss von feuchtwarmem Blut im Körper kommt, besteht die Gefahr, dass die inneren Organe faulen. Ibn Sina hielt das für den Auslöser von Seuchen wie der Pest. Er nahm an, dass schlechte Gerüche und Ausdünstungen oder faulige Nahrung den Blutüberschuss im Körper fördern und die Fäulnis begünstigen, verstehst du?«
    »Ich verstehe leider nicht viel von Medizin«, gab Henri freimütig zu. »Aber kann dann nicht auch fauliges Wasser aus alten Brunnen oder stehenden Gewässern die Luft verderben und die Krankheit fördern?«
    »Natürlich, ebenso wie Tierkadaver und menschliche Leichen. Wir müssten herausfinden, ob in Quimper in letzter Zeit besonders viele Kadaver angefallen sind und wie sie entsorgt wurden. Oder ob ein Erdbeben stattgefunden hat, denn auch dabei wird schlechte Luft freigesetzt.«
    »Ich kann mir das kaum vorstellen. Eher scheinen mir die schlechten Winde gefährlich zu sein.«
    »Auch das ist nicht falsch, Henri. Als besonders gefährlich gelten die feuchtschwülen

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