Treue in Zeiten Der Pest
Strafe Gottes, von der man glaubte, dass man sie nicht zu bekämpfen hatte, sondern als notwendig ansehen musste, damit alle Sünden und Ausschweifungen vergeben werden konnten.«
»Hm«, entgegnete Henri gedankenverloren. Und nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: »Aber der Magister wird sicher wissen, womit er es zu tun hat, oder was meinst du?«
»Ich glaube, er tappt im Dunkeln. Dieses Justitianische Feuer ist mittlerweile so gut wie vergessen. Keiner der hiesigen Mediziner wird sie kennen oder je von ihr gehört haben. Gerade das macht sie ja so gefährlich.«
»Können wir uns anstecken, Joshua?«
»Natürlich. Wir wissen ja auch nicht, wo diese Krankheit herkommt und wie sie weitergegeben wird. Vielleicht sind wir schon infiziert. Genaueres können wir nur aus Angéliques weiterem Befinden schließen. Wir müssen abwarten, was in den nächsten Stunden und Tagen mit ihr geschieht.«
»Wenn sie stirbt – sterben wir dann auch?«
»Das ist möglich. Aber es muss nicht sein. Wie gesagt, wir wissen nicht, wie sich diese Krankheit überträgt.«
»Sie hustet! Richten wir sie auf. Sonst erstickt sie womöglich.«
»Sie hustet ihr Fieber aus sich heraus. Das ist gut so. Huste nur, Angélique! Huste uns dein Fieber entgegen. Dann wird dir leichter werden!«
Nach dem Anfall wurde die Kranke ruhiger. Sie lag jetzt still auf ihrem Lager. Ihr Nachtkleid wurde allerdings immer feuchter. Angélique war glühend heiß. Und nach einer Weile trat ein, was Joshua befürchtet hatte: Die Gefährten sahen, wie die Kranke ihre Augen öffnete. Darin war jedoch nur das Weiße zu erkennen, die Pupillen waren verschwunden. Und dann fuhr Angélique mit einem Ruck in die Höhe. Sie schoss förmlich empor, hob ihre Arme und rief:
»Nein, nein! Ich will nicht!«
»Still doch, Mädchen!« Joshua versuchte, sie in die Kissen zurückzudrücken. Doch Angélique wehrte sich mit ungeahnten Kräften und stieß ihn zurück.
Anschließend wurde ihr Körper weiß und starr. Wie unter Krämpfen saß sie auf ihrem Lager. Sie begann zu zittern, ihre Augen rollten, Schaum trat vor ihren Mund. Dann sackte sie in sich zusammen und fiel auf ihr Bett.
Joshua fuhr über ihre Stirn, und Henri wischte ihre Lippen ab. Anschließend deckten die beiden Angélique wieder zu.
»Ich befürchte das Schlimmste«, sagte Joshua leise.
»Was meinst du?«
Joshua nickte. »Es geschieht genau das, was Evagrius beschrieb. Ich kann mich täuschen, und noch können wir abwarten. Aber Angéliques Zustand verschlechtert sich zusehends.«
»Sollen wir den Arzt zurückholen?«
»Nein, warten wir. Aber unsere Hoffnung können wir, glaube ich, begraben. Ich befürchte, Angélique hat die Pest.«
Joshua blieb am Krankenlager zurück, während Henri zur Herberge zurückkehrte. Dort angekommen wäre er beinahe über eine tote Ratte gestolpert, die kurz vor Seans Zimmertür lag. Er schob das außergewöhnlich große, pelzige Tier mit dem Fuß beiseite und betrat Seans Kammer. Der Knappe blickte ihm aus geröteten Augen entgegen.
»Was ist mit Angélique, Herr Henri, wie geht es ihr?« Henri setzte sich und blickte Sean lange an. Dann sagte er: »Wir wissen nur, dass sie sehr krank ist. Magister Priziac ist bei ihr gewesen. Er wollte sie in sein Spital mitnehmen, aber Joshua und ich glaubten, dass sie im Buchmalerhaus besser aufgehoben ist. Joshua ist jetzt bei ihr. Er verfügt über sehr viel Heilwissen, er wird ihr sicher helfen können.«
»Wird sie sterben?«
»Wir müssen abwarten. Noch ist zu es früh für solch düstere Gedanken. Schon morgen kann Angélique vielleicht wieder gesund sein.«
»Machst du mir auch nichts vor, Herr Henri?«
Henri seufzte innerlich. Er konnte Sean unmöglich die Wahrheit sagen. Er würde daran verzweifeln. Also wich er der Frage seines Knappen aus, so gut er konnte. »Warten wir bis zum Morgengrauen. Der Erfahrung nach erholen sich auch scheinbar schwer Kranke oft schnell. Wenn nicht, dann muss Magister Priziac das Nötige tun.«
»Ich kann nicht bis morgen warten! Warum gibt es etwas so Furchtbares wie Krankheiten überhaupt? Will Gott uns damit wirklich für unsere Sünden strafen, wie die Priester es immer sagen?«
»Ich weiß es nicht, Sean. Meiner Erfahrung nach ist es wahrscheinlicher, dass Krankheiten durch bestimmte Umstände bedingt werden, etwa durch Schmutz und Elend. Und diese Umstände sind veränderbar – von uns Menschen. Aber ich bin kein Medicus, und ich habe noch nicht viele Krankheiten erlebt.
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