Treue in Zeiten Der Pest
rundum wohl fühlt?«
»Behaupten unsere hohen Kirchenherren das nicht?«, fragte Sean vorlaut.
Ein älterer Gast, der sich schröpfen lassen wollte, um dem Körper schädliche Säfte zu entziehen, ging vorüber. Jemand wollte zur Ader gelassen werden, und eine der Bademägde traf die entsprechenden Vorbereitungen. Sie band dem Mann eine Binde um den Arm, staute sein Blut, und der Bader kam hinzu und schnitt die stark angelaufene Vene an. Das Blut fing er in einem Tiegel auf.
Ein großes Seufzen der Behaglichkeit erfüllte die Badestube. Und den Gefährten kam es so vor, als seien sie am guten Ende der Welt angekommen.
Und doch war die Bretagne nicht weit entfernt.
Ganz konnten die Freunde ihre Erinnerung an Quimper daher nicht verdrängen. Bedrückt fragten sie sich, ob die Menschen dort noch immer unter der Pest zu leiden hatten. Bevor sie sich zur Ruhe legten, schlossen sie alle, die ihnen dort am Herzen lagen, in ihre Gebete ein, besonders die beiden Ärzte, Magister Priziac und Medicus Monacis, die allen stets so selbstlos geholfen hatten.
In dieser Nacht schliefen die Gefährten so tief und fest wie schon sehr lange nicht mehr. Selbst Joshua, der nicht im Badehaus gewesen war, schnarchte zufrieden und gleichmäßig.
Beim Aufbruch am nächsten Morgen erinnerte sich Henri, dass er beim Verlassen der Badestube Bruchstücke einer Predigt mitbekommen hatte, die aus einer nahe dem Badehaus gelegenen Kapelle gedrungen waren. Henri war stehen geblieben und hatte den Priester eifern hören:
»… so kehren sie heim, die Körper weiß gewaschen, die Herzen durch Sünde geschwärzt. Die gesund hingingen, sie kehren angesteckt heim, die durch die Tugend der Keuschheit stark waren, kehren heim verwundet von den Pfeilen der Venus. Das möchte noch wenig bedeuten, wenn nicht die Mädchen, die als Jungfrauen in das Badehaus gingen, als Dirnen zurückkehren, als Ehebrecherinnen die heimkehren, die Ehefrauen waren, und als Teufelsweiber jene, die als Gottesbräute einkehrten. Ich sage euch, das Ende aller Lust ist Trauer!«
Sean hatte Recht gehabt, als er im Badehaus die Haltung der Kirche beschrieb, dachte Henri jetzt. Er selbst hatte den kurzen Aufenthalt dort zwar genossen, dennoch kam er nicht umhin, sich zu fragen, ob der Priester mit seiner Anklage so falsch gelegen hatte. Übertrieben es die Menschen nicht wirklich? Auch ihm gefiel das Ordinäre nicht, das er in dem Badehaus gesehen hatte. Aber das Leben war hart. Angesichts dessen schien es Henri wiederum verständlich, dass sich die Menschen dann und wann ablenken wollten.
Lass sie feiern, dachte Henri. Das Wasser macht sie fröhlich. Und es scheint ihrer Gesundheit zu dienen. Vielleicht sollten die Ärzte und Medici einmal eine öffentliche Badestube besuchen.
Sie ritten nach Osten. Kurz vor Dieppe wollten sie in einem Ort namens Notre-Dame Halt machen. Dort, so hatte ihnen der Bader erzählt, sollten sich Wunder ereignet haben, die mit Wasser zu tun hatten.
Henri dachte weiter über die Heilkraft des Wassers nach. Und auch die Gespräche der Gefährten kreisten lange Zeit um verschiedene Aspekte des Badens. Uthman erzählte schließlich:
»In meiner Heimat gab es einmal einen Arzt namens Mesue. Er war vollauf überzeugt von den durch die Haut wirkenden positiven Kräften des Wassers und setzte durch, dass jeder baden musste. Und der große Ibn Sina, der Arzt aller Ärzte, schätzte die schweißtreibenden Dampfbäder. Seine Lehrbücher darüber werden noch heute in Cordoba gelesen. Wir Araber wussten schon immer, dass Wasser alles andere als schädlich ist.«
»Ja, die Araber sind immer fortschrittlich gewesen«, stimmte Henri zu. »Das musste ich wohl anerkennen, als ich im Heiligen Land war. Meine christlichen Brüder begriffen das allerdings nicht.«
»Vielleicht ahnten sie es und bekämpften uns deshalb so vehement«, meinte Uthman.
»Nein, so dumm sind Christen auch wieder nicht.«
»Jedenfalls spielen Wasser und Baden in unserer Kultur eine große Rolle«, erklärte Uthman. »Deshalb konnte ich auch die Ärzte in Quimper nicht verstehen. Wasser überträgt keine Seuchen, das weiß ich.«
»In Libreville wissen sie das, wir haben es erlebt«, sagte Henri. »Aber kann Wasser tatsächlich heilen?«
»Avicenna, wie ihr Lateiner den großen Ibn Sina nennt, war davon überzeugt. Er empfahl täglich dreimaliges Baden, auch von Neugeborenen. Wasser bringe innen und außen angewendet Gesundheit. Nur bei Seewasser war er vorsichtig. Dunkelheit
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