Treuetest - Brody, J: Treuetest - The Fidelity Files
ihnen falsche Hoffnungen machen? In meinem Leben war kein Platz für einen Mann. Ich wusste eigentlich gar nicht, warum ich überhaupt mit ihm ausgegangen war. Als nette Ablenkung von meinem hektischen Alltag? Was für ein erbärmlicher Grund. Aber ich wusste, meine Familie würde meine Argumentation nicht
nachvollziehen können. »Was ist denn gar so kompliziert an deinem Leben?«, würde Julia höhnen, und meine Mutter würde mahnend hinzufügen: »Du kannst deinem Vater nicht ewig aus dem Weg gehen.« »Er ist hässlich, stimmt’s?«, würde Hannah naiv spekulieren, voller Stolz, weil sie das wahre Problem erkannt hatte, das diesem neuen großen Mysterium meines Liebeslebens zugrunde lag.
Alle drei starrten mich an – eine Jury, die über meine Strafe und damit über mein Leben bestimmen konnte. Würde ich sie mit meiner Antwort besänftigen können, oder würde ich auf dem elektrischen Stuhl enden?
Ich breitete stöhnend die Arme aus. »Zweimal, okay? Wir hatten zwei Dates, und ich fürchte, zu mehr reicht es auch nicht. Können wir jetzt essen gehen?«
»Zwei Dates«, wiederholte Julia nachdenklich. Ihre Miene verriet, dass sie sich gerade etwas zusammendichtete, das in ihren Augen genauso bedeutend war wie der neueste Durchbruch in der Krebsforschung. »Das kommt mir irgendwie bekannt vor.«
»Was willst du damit sagen?«, fragte ich verblüfft.
»Endet nicht jede deiner Beziehungen ziemlich genau nach dem zweiten Date?«
Die Mitglieder der Jury sahen mich an, als wollten sie sagen: Sie hat recht, Jen.
Verflixt. Sie hatte den Nagel auf den Kopf getroffen. Meine fiktiven »Beziehungen« dauerten tatsächlich nie länger als bis zur zweiten Verabredung. Wenn ich die betreffenden (nicht existierenden) Männer dann aus irgendeinem erfundenen Grund »abservierte«, war das lange genug, um behaupten zu können, ich hätte ihnen eine Chance gegeben, aber nicht so lange, dass ihre Gefühle verletzt werden könnten.
Während ich mir Julias Bemerkung durch den Kopf gehen ließ, bekam ich plötzlich ein schlechtes Gewissen, weil
ich das dritte Date mit Jamie absagen wollte. Schließlich war er der erste Mann aus Fleisch und Blut, von dem ich ihnen überhaupt erzählt hatte. Und wie es aussah, drohte meine Angewohnheit, fiktive Verehrer nach dem zweiten Date abzuservieren, nun auch mein reales Liebesleben zu beeinträchtigen. Das konnte nicht gesund sein.
Andererseits konnte man neuerdings keinen Aspekt meines Lebens guten Gewissens als gesund bezeichnen.
»Ich habe keine Ahnung, wovon sie redet«, verteidigte ich mich schamlos. »Jamie ist ganz anders als die anderen.«
Soll heißen, er ist kein Phantom.
»Bei unserer ersten Verabredung waren wir nämlich Golf spielen«, fuhr ich fort, »und wir haben Hotdogs gegessen, und ich finde nicht, dass das …«
»Das ist ja süß!«, rief Hannah dazwischen. »Stimmt doch, oder?« Das war an den Rest der Jury gerichtet.
Ich lächelte vor mich hin. Es war tatsächlich süß. Ich erinnerte mich daran, wie wir auf der Parkbank vor dem Imbissstand gesessen, unsere Hotdogs verdrückt und über seine Golfkünste gelacht hatten. Oder vielmehr über sein mangelndes Golftalent. Bei diesem Gedanken hätte ich beinahe gekichert.
»Das klingt wirklich nett«, stellte Mom zufrieden fest.
»Ja«, sagte ich leise und sank neben Hannah auf die Couch. »Und witzig ist er auch.« Mit einer unerwarteten Begeisterung fuhr ich fort: »Er nennt mich zum Beispiel immer Jennifer H., wie die Lehrer damals in der Grundschule. Als wir uns kennengelernt haben, habe ich ihm nämlich meinen Nachnamen nicht verraten.«
Ich lachte selbstvergessen, als wäre ich allein im Raum. Und in diesem Moment war ich das auch. Ich habe keine Ahnung, wie lange ich dort saß und einfach von Jamie erzählte. Sein Alter, sein Job, unsere erste Begegnung, unser »verlängerter«
Aufenthalt an Bord, dass er mich wegen meines Treos geneckt hatte … Einfach alles. Als ich schließlich abrupt verstummte, bemerkte ich, dass mich drei Augenpaare fasziniert anstarrten. Sie wollten mehr hören, sehnten sich nach weiteren Details.
Ich errötete. Was für eine seltsame Empfindung ergriff da von mir Besitz?
So musste sich Aufrichtigkeit anfühlen. Was sollte es sonst sein?
Ich hatte gute zehn Minuten ununterbrochen geredet, und es war keine einzige Lüge über meine Lippen gekommen.
Es war ein großartiges Gefühl, so mit den Menschen zu sprechen, die ich liebe. Ihnen alles zu erzählen. Keine Schwindeleien, keine
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