Treuetest - Brody, J: Treuetest - The Fidelity Files
Höllenqualen durchlitt. »Keine Ahnung.« Nun spürte wohl
auch sie, dass etwas im Busch war, denn sie sah zu mir hoch und fragte: »Warum, was ist los?«
»Was stand drin?«, hakte ich nach.
Sie zog die Nase kraus, während sie sich das ominöse Schriftstück in Erinnerung rief. »Ähm, es war ein Bild drin. Besser gesagt, eine Fotokopie von einem Bild. Einem Foto.«
Ich nickte. »Und wer ist darauf zu sehen?«
»Du«, erwiderte sie, als wäre das sonnenklar.
Ich nickte und zwang mich, gleichmäßig zu atmen. Jetzt bloß nicht anfangen, zu hyperventilieren.
»Du bist in einem Restaurant oder einer Bar und redest mit einem Mann«, fügte sie hinzu, sichtlich stolz auf ihr gutes Erinnerungsvermögen.
»Aha.« Meine Kehle war wie ausgetrocknet.
»Und auf der Rückseite stand: ›Das ist Ashlyn. Sieht doch aus wie Deine Tante Jennifer, nicht?‹«
Ich fuhr mir mit den Fingern durchs Haar und schloss die Augen.
»Ashlyn ist ein hübscher Name«, sagte sie, wie um mich aufzumuntern.
»Hast du den Brief deiner Mutter gezeigt?«, fragte ich panisch.
»Nein.« Sie klang gekränkt, als würde sie gleich ein »Wo denkst du hin?« hinterherschieben.
»Gut.« Ich tätschelte ihr den Arm. »Am besten zeigst du ihn niemandem und redest auch nicht darüber. Okay?« Meine Stimme klang schrill, wie kurz vor einem Nervenzusammenbruch.
»Okay.« Wir verließen das Gebäude und gingen in Richtung Auto. »Aber wie kann Ashlyn deine Chefin sein?«, fragte sie.
Ich blieb stehen. »Sie ist nicht meine Chefin. Es gibt keine Ashlyn. Ich nenne mich nur manchmal so«, sagte ich und
zuckte die Achseln. Natürlich war das eine mehr als dürftige Erklärung, aber sie musste genügen.
Hannah musterte mich mit Fragezeichen in den Augen. Als wäre ich plötzlich eine Unbekannte. Als wollte sie sagen: Ich will meine Tante Jennifer wieder! »Aber warum schickt mir dann jemand einen …«
»Weißt du was?«, unterbrach ich sie. Ich brauchte mehr Zeit, um mir eine glaubwürdige Geschichte auszudenken, also sagte ich: »Ich erkläre es dir ein andermal. Es ist ein großes Geheimnis, und unsere Mütter dürfen auf keinen Fall dahinterkommen.«
Das war genau das, was sie hatte hören wollen. Sie grinste verschwörerisch, dann presste sie die Lippen zusammen und tat, als würde sie sie mit einem Reißverschluss verschließen und obendrein mit einem Schlüssel versperren. Anschließend verstaute sie den unsichtbaren Schlüssel in ihrer Hosentasche.
Ich grinste zurück, als würde mir diese kindliche Scharade riesigen Spaß bereiten, doch meine Gedanken rasten.
Offenbar hatte Raymond Jacobs die zweite Phase seiner Erpressung eröffnet, dabei war von der vereinbarten zweiwöchigen Frist gerade mal die Hälfte verstrichen! Tja, ich schätze, das ist die Regel Nummer eins bei Erpressungen – dass es keine Regeln gibt.
Auf dem Weg zu meinem Lieblingsmexikaner sah Hannah zufrieden aus dem Autofenster, vor dem die Straßen von Brentwood vorbeizogen, und malte sich höchstwahrscheinlich in den schillerndsten Farben aus, worum es sich bei meinem Geheimnis handeln konnte. Vielleicht hatte ich ja eine Affäre mit dem Gärtner, wie Gabrielle in der Folge von Desperate Housewives , die wir neulich bei mir gesehen hatten, weil ihre Mom sie solche Sendungen nicht gucken ließ? Oder ich führte ein Doppelleben, hatte einen Mann und zwei
Kinder in Oregon, die ich nur zweimal im Monat sah? Was auch immer es sein mochte, es musste etwas höchst Aufregendes sein.
Ich starrte ebenfalls aus dem Fenster, doch meine Gedanken drehten sich nicht um Gärtner oder verzweifelte Hausfrauen. Ich fragte mich, ob Raymond Jacobs von Jamie wusste oder nicht. Wenn nicht, dann würde es garantiert nicht lange dauern, bis er es herausfand.
Abends rief mich Jamie an, um sich zu vergewissern, dass unsere Verabredung für Dienstag noch aktuell war.
Ich dachte an seine Visitenkarte auf meinem Esstisch. An meine misslungenen Versuche, unser Date abzusagen, weil mein Leben auch ohne ihn schon kompliziert genug war. Und an meine Angst, Raymond Jacobs könnte von Jamies Existenz erfahren und auch ihn als Druckmittel gegen mich einsetzen. Eine weitere Sorte Kryptonit.
Aber ich wusste, es gab nur eine Antwort auf Jamies Frage.
Und diese Antwort war ja.
Denn Jamie war mein Ausweg.
Das wurde immer offensichtlicher, mit jedem Moment, den wir gemeinsam verbrachten, und als er am Dienstagabend vor meiner Tür stand, bestätigte sich das Gefühl erneut.
Bis jetzt hatte es kein
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