Treuetest - Brody, J: Treuetest - The Fidelity Files
erfundenen Details, keine Alibis. Nur die Wahrheit.
Es war befreiend.
Ich holte tief Luft und wagte einen Blick in ihre verzückten Gesichter. Ich wusste, dass meine Mutter bereits in Hochzeitsfantasien schwelgte. Hannah malte sich vermutlich gerade unseren ersten Kuss aus und fragte sich, wie es wohl wäre, die Zunge eines Jungen im Mund zu haben, während sich Julia diebisch darüber freute, dass sie mit ihrer Kritik wieder einmal richtig gelegen hatte.
Es war mir egal, was sie dachten.
Das Einzige, das zählte, war die Tatsache, dass ich ihnen endlich die Wahrheit gesagt hatte. Zumindest einen kleinen Teil. Am liebsten hätte ich gleich weitergemacht, doch das war unmöglich.
Dafür war es noch zu früh.
Vielleicht kam der richtige Zeitpunkt auch überhaupt nie.
Ich musste mich zurückhalten. Man sagt, alles kann süchtig machen, und das kann ich jetzt bestätigen. Die Wahrheit war mit Abstand die stärkste Droge, die ich je ausprobiert
hatte. Aber ich durfte meine Familie nicht überfordern. Ein paar Verabredungen, das ging noch, meine Karriere als Treuetesterin dagegen … Lieber nicht. Also verschwieg ich diesen Teil meines Lebens und versuchte, einfach das Gefühl der offenen, aufrichtigen Kommunikation zu genießen, solange es möglich war.
»Und was spricht nun gegen diesen Jamie?«, wollte Mom verwirrt wissen. Kein Wunder, dass sie sich das nicht erklären konnten, nachdem ich ihnen zehn Minuten nonstop von ihm vorgeschwärmt hatte.
Mir ging es ehrlich gesagt ähnlich. Wenn ich an Jamie dachte, hatte ich unweigerlich das Bedürfnis, jede freie Minute mit ihm zu verbringen. Doch wenn ich an meine Arbeit dachte, an die Lügen, die Erpressung, die Ausflüchte, dann wusste ich, es wäre das Beste, einen Schlussstrich zu ziehen.
»Ich weiß auch nicht. Man wird sehen.« Das war im Augenblick die einzige Antwort, mit der ich einer langen, hitzigen Diskussion über mein Privatleben aus dem Weg gehen konnte.
Sie schien die drei zufrieden zu stellen. Ihre Hoffnung war sichtlich stärker als mein Zynismus.
Wie auf ein Stichwort klingelte mein Treo. Wir fuhren allesamt herum und starrten es an, als hätten wir ein derart futuristisches Gerät noch nie zu Gesicht bekommen. »Die Arbeit ruft«, sagte ich, verdrehte mit gespielter Genervtheit die Augen und ging mit dem Telefon nach nebenan.
Schon war es vorbei mit der Offenheit und Aufrichtigkeit.
»Hallo?«, sagte ich so leise wie möglich, ohne den Eindruck zu erwecken, dass ich flüsterte.
»Ja, hallo, Ashlyn?« Die Frau am anderen Ende klang freundlich, verletzlich und einen Hauch bekümmert.
»Darf ich fragen, mit wem ich spreche?«
Schweigen. »Ähm, ich heiße Karen … Howard«, kam es
zögernd, mit leicht zitternder Stimme. Keine Seltenheit, wenn ich unter dieser Nummer angerufen wurde. »Eine Freundin hat mir Ihre Nummer gegeben.«
»Verstehe. Was kann ich für Sie tun, Mrs. Howard?«
»Äh, wie Sie sich vorstellen können, geht es um meinen Mann. Alles Weitere würde ich wenn möglich lieber persönlich mit Ihnen besprechen. Telefone machen mich nervös.«
»Nun, ein, zwei weitere Informationen benötige ich schon noch.«
»Verstehe«, sagte sie etwas enttäuscht. »Also gut.« Sie holte tief Luft. »Er ist in letzter Zeit einfach so anders … so reserviert. Er kommt immer sehr spät nach Hause, manchmal auch gar nicht. Und da kam mir der Gedanke …« Sie brach ab, als wäre sie zu verstört, um fortzufahren oder noch nicht bereit, es laut auszusprechen und sich damit die schmerzliche Tatsache einzugestehen.
»Wir können uns gerne treffen«, erwiderte ich sogleich, um die verlegene Pause zu füllen.
Sie seufzte auf, hörbar erleichtert darüber, dass ich sie nicht gezwungen hatte, den schrecklichen Gedanken zu Ende zu führen. »Danke.«
»Wann würde es Ihnen passen?«
Einen Augenblick herrschte Stille am anderen Ende. Vermutlich blätterte sie in ihrem Kalender. »In ein paar Wochen geht mein Mann auf Geschäftsreise. Vielleicht irgendwann davor?«
»Ich könnte Ende der Woche bei Ihnen vorbeikommen. Wie wäre es am Freitag?«
»Freitag wäre gut. Um acht?«
»Acht Uhr abends? Ist Ihr Mann da nicht zu Hause?«
»Äh, nein«, sagte sie rasch. »Da arbeitet er länger. Wie so oft.« Sie seufzte.
»Alles klar. Dann also Freitag um acht.«
Ich notierte mir Karen Howards Adresse und Telefonnummer und legte auf. Dann kehrte ich ins Wohnzimmer zurück, wo die Unterhaltung inzwischen ohne mich weitergelaufen war. Julia referierte
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