Treuetest - Brody, J: Treuetest - The Fidelity Files
geringsten persönlichen Bezug hatte.
Da er schwieg, fuhr ich schamlos fort: »Es würde mich nicht überraschen, wenn sich Marie Antoinette auch einen Liebhaber genommen hätte. Als eine Art Mitternachtsimbiss. Ein Croissant für den kleinen Hunger zwischendurch sozusagen. Damals war so gut wie niemand seinem Ehepartner treu. Treue war quasi aus der Mode.«
Ich hoffte auf irgendein Echo, eine wie auch immer geartete Reaktion. Vielleicht musste ich nur lange genug nachbohren, die richtigen Worte und Formulierungen finden.
Doch alles, was ihm dazu einfiel, war ein höfliches »Tja, du weißt ja, wie das damals war. Eine Heirat war eine politische Übereinkunft. Vor allem Könige und Königinnen haben nie aus Liebe geheiratet.«
Ich ließ ihn nicht aus den Augen, hielt Ausschau nach Hinweisen
auf eine unterschwellige Bedeutung, eine versteckte Botschaft. Wollte er mich etwa dazu bewegen, seinen bösen Machenschaften zu vertrauen, mich zur Religion der Ehebrecher bekehren? Nein. Er kannte sich lediglich aus mit Geschichte, und zwar nicht schlecht.
»Man hat den Menschen geheiratet, von dem man sich am meisten versprochen hat – sozial, wirtschaftlich, politisch. Und dann hat man sich in den Menschen verliebt, der einen glücklich gemacht hat«, fügte er hinzu.
Seine Worte trieben mir fast die Tränen in die Augen. Ich hätte mich am liebsten in seine Arme gestürzt und ihm gesagt, dass ich die Frau sein wollte, die ihn glücklich machte. Dass alles andere nicht wichtig war. Dass wir weglaufen, noch einmal ganz von vorne anfangen konnten. Alles, was davor geschehen war, vergessen. Doch meine Füße fühlten sich zentnerschwer an, als wäre ich festgefroren.
Und obwohl mir meine Erfahrung als Treuetesterin sagte, dass es nicht ratsam war, während eines Auftrages das Thema Untreue anzusprechen, konnte ich nicht anders, als ihn zu fragen: »Glaubst du, das gibt es auch heute noch?«
Er kam zu mir, stützte sich mit den Händen am hölzernen Geländer ab, das die Touristen von den Ausstellungsstücken fernhielt. »Politisch motivierte Eheschließungen, meinst du?«, fragte er ungläubig, als wollte er sagen: »Lebst du eigentlich auf dem Mond, oder hast du gerade eins über die Rübe gekriegt?«
»Ganz recht – und die Mätressen«, erwiderte ich vorsichtig, wobei ich das letzte Wort sehr klar und deutlich aussprach und erneut auf eine Reaktion wartete. Wieder vergebens. »Glaubst du, die Männer legen sich auch heute noch Mätressen zu und halten sie irgendwo versteckt?«
Er lachte. »Wie Schwarzgeld auf einem Schweizer Bankkonto?«
Ich erwiderte sein Lachen, obwohl ich allmählich die Geduld verlor. Warum machte er Witze? Warum nahm er meine Fragen nicht ernst? Das sollte er nämlich! Schließlich hielt er mich schon die ganze Zeit als seine geheime Geliebte, und ich fand das ganz und gar nicht zum Lachen.
»Das war nicht im Scherz gemeint«, beharrte ich sanft.
Er sah mir in die Augen. »Natürlich tun sie das«, sagte er sachlich. »Wo es Versprechen gibt, gibt es auch gebrochene Versprechen. Das liegt eben in der Natur des Menschen.«
Ich blinzelte verblüfft. Was zum Teufel sollte das nun wieder heißen? Dass Regeln dazu da sind, um gebrochen zu werden, und wir uns damit abfinden sollten? Ohne mich.
Wir wandten uns wieder der Glasvitrine zu, in der unter anderem Marie Antoinettes Wasserkrug ausgestellt war sowie ein unterschriebenes Dokument, das von ihrer Gefangenschaft zeugte. War Jamies Bemerkung vielleicht als allgemeine Aussage zum Thema Ehe zu verstehen? Vielleicht wollte er ausdrücken, die Ehe sei nur ein von Staat und Gesellschaft gutgeheißenes, schriftlich festgehaltenes Prinzip, aber leider völlig wider die Natur des Menschen und deshalb quasi dazu verdammt, entweiht zu werden.
Er sah mich an und lächelte. Er hatte keine Ahnung, was für Gedanken mir durch den Kopf rasten.
Nein, sagte ich mir. Darum geht es hier nicht. Es geht nicht um ein Stück Papier oder um Verhaltensnormen, sondern um Ehrlichkeit. Um einen der wenigen Aspekte des menschlichen Lebens, der sich der Kontrolle durch eine von Benimmregeln und -empfehlungen geprägte Gesellschaft entzieht. Er hatte mich angelogen, und seine Frau ebenfalls. Somit war er keinen Deut besser als ein französischer König mit einem Schlafzimmer voller Mätressen.
Ich holte tief Luft und sah mich im Raum um. Schlagartig
wurde mir wieder bewusst, dass ich aus einem bestimmten Grund hier war. Ich hatte eine Aufgabe zu erfüllen.
Vielleicht
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