Treuetest - Brody, J: Treuetest - The Fidelity Files
weil ich nicht sicher war, dass meine Worte überhaupt das ausdrücken würden, was ich meinte, falls mir wider Erwarten etwas einfallen sollte.
Obwohl ich mir meinen Lebensunterhalt damit verdiene, Gedanken zu lesen und männliches Verhalten vorherzusehen, mache ich mir keine Illusionen: Man kann nie hundertprozentig sicher sein. Das hatte Jamie schon mehrfach bewiesen. Was ihn betraf, hatte ich fast durch die Bank falsch gelegen. Jeder Versuch, sein Verhalten vorauszusagen, einschließlich dem gerade eben, hatte mit demselben Gefühlschaos geendet.
Überraschung, Verwirrung, Desillusionierung und über kurz oder lang totaler Kontrollverlust.
Genau deshalb muss ich emotionslos bleiben. Gleichgültig. Neutral. Es muss mir egal sein, wie das Ergebnis ausfällt, ob ich mit meiner Einschätzung richtig liege oder nicht.
Denn wer keine Erwartungen hegt, wer niemals hofft, den kann nichts enttäuschen. Ich war sehr stolz darauf gewesen,
diese Lektion gelernt zu haben. Ich hatte mir den Grundsatz fest eingeprägt und mich an ihm orientiert.
Aber heute Abend hatte ich ihn vergessen, wie so viele meiner Grundsätze in letzter Zeit. Seit wir uns auf dem Flug von Vegas kennengelernt hatten, war ich mit jeder Minute in Jamies Gegenwart vergesslicher geworden. Das Ergebnis gefiel mir gar nicht.
Ich war noch nie ein großer Fan von Unsicherheit gewesen. Ich hatte angenommen, ich hätte gelernt, Unsicherheitsfaktoren auszuschalten. Doch jetzt war die Unsicherheit hinter mir her, jagte mich durch einen dunklen Korridor ohne Türen, ohne Fenster, ohne Lichtschalter.
Als Jamie den Arm ausstreckte, um meine Hand zu tätscheln, zuckte ich zusammen. Das war mir bei keinem Auftrag je passiert. Ich versuchte, es zu überspielen, indem ich die Hand umdrehte und unter die seine schob.
»Tut mir leid, dass ich es überhaupt erwähnt habe. Lass uns erst wieder darüber reden, wenn wir Genaueres wissen, ja?«
Ich lächelte. »Okay.«
Jamie beugte sich über den Tisch und küsste mich zärtlich auf die Wange. »Erzähl doch mal, wie kommt es, dass du so gut Französisch sprichst?«
Ich wich seinem Blick aus, tat, als würde ich fasziniert das nächtliche Treiben auf den Straßen von Paris beobachten. Es war mir immer gegen den Strich gegangen, ihn anzulügen. Aber jetzt, heute Abend, war etwas anders. Eine Stimme aus meinem Inneren erinnerte mich voller Feindseligkeit, Groll und Bitterkeit daran, dass es mir nichts ausmachen sollte, weil er zuerst gelogen hatte. Von Anfang an hatte er gelogen. Jeder Augenblick, den wir zusammen verbrachten und in dem er seine Frau nicht erwähnte, war eine Lüge. Mein Vertrauen war bereits in den Grundfesten erschüttert. Und er hielt den Vorschlaghammer in der Hand.
Wozu also ein schlechtes Gewissen haben?
»Hab ich in der Schule gelernt«, sagte ich beiläufig.
»Wow. Erstaunlich. Was du da so von dir gibst, klingt, als hätte es echt Hand und Fuß. Die meisten Leute vergessen ihre Sprachkenntnisse aus der Schulzeit, wenn sie die Sprache nicht regelmäßig verwenden.«
»Nun, ich verwende sie aber regelmäßig, okay? Was sollen die Fragen?«, fauchte ich.
Wir waren beide gleichermaßen überrascht von diesem Ausbruch. Ich sank verlegen in mich zusammen, Jamie starrte mich blinzelnd an und wartete auf die Pointe.
Denn das tun wir normalerweise – wir ziehen einander auf. Wir spötteln. Wir spielen uns stundenlang gegenseitig den Ball zu. Inspirieren einander.
Doch diesmal blieb die Pointe aus. Ich lehnte mich zurück und legte die Hände in den Schoß.
»Entschuldige, ich wollte nicht …«, fing er vorsichtig an.
»Nein«, unterbrach ich ihn, wütend auf mich selbst, weil ich mich einen Moment nicht unter Kontrolle gehabt hatte. Auch das passiert mir sonst nie. Ich halte meine Gefühle stets unter Verschluss, rund um die Uhr, sieben Tage die Woche. Man durfte sie offenbar keine Sekunde aus den Augen lassen. Wie die Mitglieder des französischen Königshauses.
»Ich muss mich entschuldigen«, sagte ich. »Mir macht wohl doch der Jetlag zu schaffen.«
Jamie musterte mich verunsichert. »Wirklich?«
Ich wedelte mit der Hand. »Ja, ja.«
»Oder bist du vielleicht doch …«
»Es ist nichts«, fuhr ich hastig dazwischen und lächelte, um ihn zu beruhigen.
Jamie nickte und sah mich aus sanften Augen an. Es lag so viel aufrichtiges Mitgefühl in seinem Blick, dass ich am liebsten aufgesprungen wäre, die Serviette auf den Tisch gepfeffert
und »Du bist ein gottverdammter Ehebrecher, also
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