Treuetest - Brody, J: Treuetest - The Fidelity Files
absolut normalen Aussehen zum Trotz, für eine dieser Verrückten, die durch die Straßen von Santa Monica wandern und wildfremden Menschen ungefragt Beziehungstipps erteilen. »Welchen Tipp wolltest du mir dann geben?«
Rani war eine meiner »pro bono«-Klientinnen. Ich verlangte von ihr nicht einen Cent für meine Dienste, hauptsächlich deshalb, weil sie keinen erübrigen konnte. Sie schob Nachtschichten bei Starbucks, um sich ihr Jurastudium zu finanzieren.
»Wir sind seit damals auf der Highschool in Iowa zusammen«, erklärte sie mir, als wir vor einem der Cafés an der Promenade Platz genommen hatten, um eine Limonade zu trinken. »Es ist für uns beide die erste Beziehung.«
»Du siehst nicht aus, als wärst du im Mittleren Westen geboren«, scherzte ich.
Sie lächelte und sah einem Passanten nach, der an unserem Tisch vorbeiging. »Meine Familie ist aus Indien eingewandert,
als ich vierzehn war. Mein Dad hat einen Job in der amerikanischen Zweigstelle seiner Technologiefirma bekommen. Der perfekte Start in ›ein besseres Leben‹. Jedenfalls wurde mir das so verkauft.« Sie schwieg einen Augenblick nachdenklich. »Ich wollte nicht aus Indien wegziehen. Dort war ich beliebt, hatte viele Freundinnen. Alle mochten mich. Die Kinder in Iowa waren richtig gemein. Ständig haben sie sich über meinen Akzent und mein Aussehen lustig gemacht. Ich war umzingelt von blonden Haaren und blauen Augen. Das war das gängige Schönheitsideal in Iowa. Nur die blonden, blauäugigen Kinder hatten Freunde... Beim Mittagessen ließen mich meine Mitschüler nicht am selben Tisch sitzen, also habe ich die Pausen in der Bücherei verbracht. Eigentlich war es verboten, dort zu essen, aber die Bibliothekarin hat ein Auge zugedrückt.« Sie schmunzelte. »Ich hab ihr wohl leid getan.«
Ich nickte und nippte abwartend an meiner Limonade.
»Und eines Tages kam Clayton herein. Ich kannte ihn vom Sehen. Er war im Fußballteam und sah unheimlich gut aus. Ich dachte, er wollte sich ein Buch holen, aber er kam geradewegs auf mich zu und setzte sich gegenüber von mir an den Tisch. Er sagte, er wüsste, dass ich jede Mittagspause in der Bücherei verbringe, und wollte mal sehen, warum. Ob die Bücherei jetzt der neue In-Treff sei oder so.«
»Wie süß«, bemerkte ich.
Sie nickte. »So war er immer. Von dem Tag an hat er immer mit mir in der Bibliothek gegessen. Er hat nie gefragt, warum ich nicht wie die anderen Schüler in der Cafeteria esse. Musste er wohl auch nicht.«
Ich war ganz in die Geschichte vertieft. »Und weiter?«
»Nichts weiter. Seither sind wir zusammen.«
»Warum dann die Bücher? Warum deine Zweifel?«
Sie seufzte, strich sich mit der Hand den Pferdeschwanz
glatt. »Gerade weil wir seither zusammen sind. Ich glaube, er will mehr... Er ist neugierig. Er will wissen, was er verpasst. Ich glaube, er will ein weißes Mädchen.«
Ich hätte beinahe die Limonade wieder ausgespuckt. »Was? Ist das dein Ernst? Du bist wunderschön! Absolut atemberaubend! Und er hat dich ausgewählt, aus einem Meer weißer Mädchen... weil du anders bist. Warum sollte er plötzlich seine Meinung ändern?«
Sie zuckte die Achseln und schüttelte hilflos den Kopf. »Keine Ahnung. Ist nur so ein Gefühl. Mir ist aufgefallen, dass er manchmal anderen Frauen nachsieht. Ich bin einfach nicht sicher, ob ich dazu bestimmt bin, für immer die Frau an seiner Seite zu sein. Wie soll man das nach zehn Jahren auch wissen? Und mal ganz ehrlich – es ist doch utopisch, dass man mit fünfzehn seinen Seelenverwandten findet.«
Ich presste die Lippen aufeinander und wandte den Blick ab. »Stimmt«, räumte ich ein.
»Wenn er mich betrügt, dann nicht gleich mit der Erstbesten, die er in einer Bar aufgegabelt hat, da bin ich sicher. Er ist nicht der Typ für einen One-Night-Stand. Wenn überhaupt, wird er die Betreffende näher kennenlernen, mit ihr ausgehen wollen. Um einfach mal zu sehen, was da draußen sonst noch so herumläuft.«
Ich nickte und berührte ihre Hand. »Lass mich dir helfen.«
Sie legte den Kopf schief. »Wie denn?«
»Ich biete einen Spezialservice an. Für Frauen wie dich. Was du suchst, findest du nicht in irgendwelchen Büchern.«
Rani hob neugierig eine Augenbraue. Also erzählte ich ihr von Ashlyn und ihren Machenschaften.
Ihre Reaktion war interessant. Ich bin es nicht gewohnt, gänzlich Uneingeweihten von meiner Arbeit zu erzählen. Meine Auftraggeberinnen sind ja meist bis zu einem gewissen
Grad vorbereitet.
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