Treuetest - Brody, J: Treuetest - The Fidelity Files
zweimal wöchentlich vor dem Spiegel... wenn sie allein ist. Aber wenn es darum geht, ihn anzuwenden, ist sie nicht mehr ganz so mutig.
»Raymond Jacobs«, sagte ich gewichtig.
»Woher wissen Sie das?«, fragte er argwöhnisch, wohlwissend, dass er mir nicht seinen vollen Namen genannt hatte.
Ich wedelte mit seiner Visitenkarte.
»Ach, richtig.« Er lachte erleichtert über sich selbst. Einen ganz kurzen Moment lang hatte er schon befürchtet, ich könnte nicht die sein, für die ich mich ausgab.
Und das war ich ja tatsächlich nicht.
Doch der Mensch sieht nur, was er sehen will.
»Und warum sind Sie in Denver?«, erkundigte sich Raymond rasch, um die Unterhaltung wieder in die gewünschte Richtung zu lenken. »Geschäftlich oder zum Vergnügen ?« Pfff. Reichlich plump. Ließ keine Gelegenheit aus, um eine Anspielung unterzubringen.
Ich lachte nervös angesichts dieser Andeutung. Ashlyn war vielleicht schüchtern, aber sie war nicht dumm. Er ließ mich nicht aus den Augen, wartete darauf, dass mein leichtes Unbehagen wieder der unbeschwerten Flirtlaune wich.
Tja, was soll ich sagen.
Ashlyn legte prompt den Hebel um.
»Geschäftlich«, sagte ich und stieß einen flüchtigen Seufzer hervor, um zu unterstreichen, dass ich mich fürchterlich langweilte und nach etwas Ablenkung sehnte.
»Was machen Sie denn beruflich?«
Ich strich mir eine Haarsträhne hinters Ohr. »Ich arbeite als Research Manager für eine Anwaltskanzlei.«
Ashlyn ist beruflich äußerst vielseitig. Heute Abend sollte
ihr Job interessant und wichtig klingen. Nicht unbedingt weltbewegend, aber doch so anspruchsvoll, dass man ein bisschen Grips dafür braucht. Ashlyns Beruf spielt zuweilen eine wichtige Rolle. Doch Raymond Jacobs schien bereits von Ashlyns Beinen derart beeindruckt, dass es wohl ziemlich egal war, womit sie den Rest ihres Lebens verbrachte, solange sie sich heute Nacht ein wenig Zeit für ihn nahm.
»Wow. Klingt aufregend«, sagte er und gab sich Mühe, ein möglichst aufrichtig wirkendes Interesse zu heucheln.
Er wusste, was er wollte, und er wusste auch, was dafür vonnöten war: Aufmerksamkeit und Interesse, denn genau das musste man erfahrungsgemäß zeigen, um Mädchen wie Ashlyn herumzukriegen.
Ich lächelte wie jemand, der seine Arbeit liebt. »Ist es auch. Sehr abwechslungsreich. Man kommt viel rum, schließt ständig neue Bekanntschaften, und die Recherchen, die ich anstelle, sind oft richtig spannend, dabei hätte ich mich für die Sachgebiete, mit denen ich mich auseinandersetzen muss, aus freien Stücken wohl nie und nimmer interessiert.«
Ich musste innerlich schmunzeln, als mir aufging, dass all diese Kriterien auch auf meinen tatsächlichen Beruf zutrafen: Ich komme wirklich viel rum und lerne am laufenden Band neue Leute kennen – wenn auch nicht unbedingt die anständigsten. Aber immerhin. Und manchmal gewähren mir die erforderlichen Recherchen tatsächlich faszinierende Einblicke. So habe ich mir in den vergangenen zwei Jahren beispielsweise Grundkenntnisse in Französisch, Spanisch, Italienisch, Japanisch, Deutsch, Russisch und sogar etwas Arabisch angeeignet. Es stört mich nicht, dass die Unterhaltungen, die ich in diesen Sprachen führe, ausschließlich dazu dienen, herauszufinden, ob meine Gesprächspartner mich mit auf ihr Hotelzimmer nehmen würden.
Kein Grund zur Klage also.
Jeder muss zwischendurch ein bisschen schweißtreibende körperliche Arbeit erledigen, und bei mir ist der Ausdruck eben ziemlich wörtlich zu verstehen.
Je länger ich mit Raymond Jacobs plauderte, desto mehr kam ich zu der Überzeugung, dass er zu den »Umschaltern« gehörte. Er kannte kein schlechtes Gewissen. Das sind die Typen, wegen denen ich nachts wach liege. Die, die ihre Frau mit derselben Selbstverständlichkeit hintergehen, wie sie beim Fernsehen in der Werbepause umschalten, um mal eben zu gucken, was auf den anderen Kanälen läuft. Das ist übrigens ein guter Test: Steht ein Mann eine ganze Werbepause durch, ohne umzuschalten? Falls ja, dann hat er Potenzial. Falls nicht, setzt man ihn am besten umgehend vor die Tür. Leider schränken Erfindungen wie der Festplattenrekorder diese Testmöglichkeit zusehends ein.
Wie auch immer, eines würde Raymond Jacobs auf jeden Fall verspüren: Bedauern. Wenn auch vermutlich nicht deshalb, weil er seine Frau betrogen hatte, sondern eher, weil er sich dabei hatte erwischen lassen. Erfolgreiche Männer geben sich nur ungern eine Blöße – im wahrsten Sinne des
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