Treuetest - Brody, J: Treuetest - The Fidelity Files
Attribut »amüsiert«. Schon gar nicht, nachdem ich auf dem Bürgersteig vor dem Flughafen beinahe zu Boden gegangen wäre. Ich lehnte mich betont lässig an das Geländer. Mit gekreuzten Beinen. So. Schon viel besser.
Obwohl mir natürlich völlig schnurz war, was der Kerl dachte.
»Sie haben sich gar nicht von mir verabschiedet. Ich komme mir so benutzt vor.«
Ich lachte. »Ach, ja? Weil Sie vier Stunden den Entertainer spielen ›mussten‹?«
»Ganz recht. Für Sie war das wohl bloß ein unverbindlicher Zeitvertreib, wie?«
»Schuldig im Sinne der Anklage. Wie ich sehe, sind Sie auch Valet-Fan?« Ich deutete auf sein Ticket.
Er nickte. »Dieser Service ist jeden Cent wert. Außerdem übernimmt meine Firma die Kosten.«
»Meine auch.« Stimmte ja auch. Die Reisekosten lasse ich mir immer erstatten.
»Ich bin froh, dass wir uns noch einmal über den Weg laufen, weil ich Sie nämlich etwas fragen wollte, aber Sie waren so schnell weg, ohne einen Pantoffel oder andere zweckdienliche Hinweise zu hinterlassen.«
»Ich hab nie kapiert, wie es sein kann, dass ein Schuh bloß einem einzigen Mädchen im ganzen Königreich passt. Ist doch reichlich unrealistisch.«
»Aschenbrödel hatte eben besonders zierliche Füße«, erklärte er und warf einen Blick auf die meinen. »Ihre sehen allerdings ziemlich durchschnittlich aus. Da hätte mir ein Schuh wohl kaum geholfen.«
Ich lachte. Dann herrschte verlegenes Schweigen. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Dabei ist Flirten quasi mein täglich Brot. Aber in der Gegenwart von Jamie Richards kam ich mir richtiggehend schüchtern vor. Das Selbstvertrauen, das mich als Ashlyn so erfolgreich machte, war wie weggewischt. Ich war bloß noch ich, und ich war in solchen Dingen noch nie besonders talentiert gewesen. Und die Tatsache, dass mir Jamie mit jeder Minute noch attraktiver vorkam, machte die Sache nicht unbedingt einfacher.
»Also, was ich Sie fragen wollte: Würden Sie morgen Abend mit mir essen gehen?«
Ich war baff. Männer wie Jamie Richards laden Mädchen wie Jennifer Hunter nicht zum Dinner ein. Er wirkte so weltgewandt, so reif... das exakte Gegenteil von allem, was ich war. Ashlyn wurde ständig von Typen wie ihm umschwärmt... okay, von seinen verheirateten, untreuen Artgenossen. Doch ich, Jen? Niemals. Nicht ohne Auftraggeber, die mich hinterher entlohnen.
Ich trat unschlüssig von einem Fuß auf den anderen, unfähig, zu reagieren. Als wären die Worte in meinem Mund stecken geblieben. Als hätten sie Angst, sich herauszuwagen.
»Wow, mir war nicht klar, dass meine Frage so schwierig zu beantworten ist. Ich hätte sie wohl etwas weniger hochgestochen formulieren sollen.«
Ich kicherte nervös. »Nein, nein, das ist es nicht. Ich fürchte nur, es wäre keine besonders gute Idee.«
Er nickte verständnisvoll. »Keine gute Idee, weil Sie einen Freund haben, oder keine gute Idee, weil Sie an einer ansteckenden Krankheit leiden?«
Ich sah, dass sich der Parkwächter mit meinem Wagen näherte und biss mir auf die Unterlippe. »Nein... kein Freund.«
»Mist. Dann also doch die ansteckende Krankheit. Was ist es? Cholera? Ebola? Die Pest?«
Ich schüttelte lachend den Kopf. »Nichts von alledem. Es ist bloß alles etwas kompliziert.«
»Das freut mich zu hören. Ich liebe Komplikationen. Wenn mir etwas zu simpel ist, schlafe ich auf der Stelle ein.«
Hach, war der Kerl süß. Fast schon zu süß. Ich lächelte und hätte alles darum gegeben, die Einladung annehmen zu können. Ein Date. Ein richtiges Date. Ohne eine eifersüchtige Freundin, die schon vor der Tür wartete. Ohne eine schwarze Karte auf der Kommode. Ohne vorher seitenweise Lieblingsgesprächsthemen, Lieblingsfilme und Lieblingskaraokesongs auswendig zu lernen. Doch etwas in mir schrie: Nein! Tu’s nicht! Denn ich hatte das überwältigende Gefühl, dass ich genau wusste, wohin die Sache führen würde. Wie es enden würde. Wozu das ganze Buch lesen, wenn man schon weiß, wie es ausgeht?
»Tut mir leid«, sagte ich und machte mich auf den Weg zum Parkwächter, der bereits auf mich wartete. »Aber es war sehr schön, Sie kennenzulernen.«
Und dann erfasste mich plötzlich eine Welle der Traurigkeit. Die Art von Traurigkeit, die daher rührt, dass man das Ende des Buches bereits kennt. Dass man nie dieselbe Aufregung, dieselbe Spannung erleben wird wie normale Leser, wenn sie den neuesten Bestsellerroman mit Glücklich-bisan-ihr-Lebensende-Schluss in die Hand nehmen und es gar nicht
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