Tribunal
Bromscheidt?«
»Sie machen sich lächerlich«, sagte Marie.
»Ich bin der Einzige von uns, der überhaupt etwas tut«, erwiderte Frodeleit. »Von Ihnen, Frau Schwarz, habe ich bis jetzt jedenfalls noch nichts Konstruktives gehört.«
»Wir sollten gemeinsam überlegen, was wir tun«, gab sie zurück.
»Nein!«
Frodeleit drehte sich zu ihr um und blitzte mit den Augen.
»Was wollen Sie denn?«, fragte Stephan erstaunt.
Frodeleit deutete mit einer flüchtigen Kopfbewegung auf die Abhörgeräte. Stephan verstand. Wenn Bromscheidt alles hörte, was sie sagten, durften sie sich nicht laut austauschen. Und wenn er alles sah, durften sie sich nicht flüsternd zusammenstellen. Bromscheidt isolierte sie gegeneinander. Aber warum trat Frodeleit dann überhaupt hervor? Warum inspizierte er Bromscheidts technische Installationen, wenn er damit rechnen musste, dass er ihn dabei beobachtete?
»Gehen Sie zum Hauptstollen!«, befahl Frodeleit Marie.
»Warum ich?«, fragte Marie.
»Weil Herr Bromscheidt an den Stolleneingängen Lichtschranken montiert hat, die wir testen sollten.«
»Das ist zu gefährlich, Herr Frodeleit«, warf Stephan ein.
»Auch ich glaube nicht, dass das eine technische Spielerei ist«, antwortete Frodeleit. »Aber ich denke, wir sollten die Anlagen testen dürfen.«
Er wandte sich wieder dem Mikrofon zu. »Wir wollen alles richtig machen«, fuhr Frodeleit fort. »Aber wir müssen auch sehen, dass es Ihnen ernst ist, Herr Bromscheidt. Wir gehen jetzt zu dem Hauptstollen. Wir werden Ihre Lichtschranke testen. Herr Knobel und Frau Schwarz werden hindurchgehen. Wenn das Durchschreiten der Schranke gefährlich ist, bitte ich Sie, das jetzt zu sagen, Herr Bromscheidt! Das wäre ehrlich. Denken Sie an Ihre Worte: Frau Schwarz und Herr Knobel haben mit der Situation nichts zu tun. Also opfern Sie die beiden nicht! Sie haben keine Strafe verdient.«
Der Lautsprecher schwieg. Frodeleit leuchtete in das Kameraauge.
»Dann gehen Sie beide jetzt!«, forderte Frodeleit sie auf.
»Komm!«
Stephan zog Marie am Arm.
»Nein, Stephan!«, flüsterte sie. »Mit welchem Recht tut er das? Warum schwingt er sich zum Führer dieser Gruppe auf? Er sollte selbst gehen. Er ist doch der Richter, den Bromscheidt will. Wenn er entscheiden will, dann soll er seine Entscheidung selbst umsetzen.«
Stephan drehte sich um. »Marie sagt, Sie sollten selbst die Schranke testen. Und ich meine, dass sie recht hat. Es war Ihre Idee.«
»Du tust das nicht!«, schrie Verena.
Frodeleit seufzte. »Hubert, dann du!«
»Das kannst du von mir nicht verlangen.«
»Und warum nicht?« Frodeleits Frage entlud sich laut und aggressiv. Das Wesentliche blieb ungesagt: Aus Frodeleits Sicht traf Löffke die Schuld, also war er verantwortlich.
Dörthe hing wie ein Sack an ihrem Mann.
»Du bist feige, Hubert!«, tadelte Frodeleit. »Erst in solchen Augenblicken lernt man die Menschen kennen.«
Stephan stimmte ihm insgeheim zu. Wie oft hatte er Löffkes Feigheit erlebt, sein plumpes Gebaren, stets darauf ausgerichtet, eigene Vorteile zu sichern und dabei auch andere zu opfern. Wenn zu befürchten stand, dass er Schaden erleiden konnte, wagte sich Löffke nicht aus der Deckung. Er positionierte sich nur dann, wenn keine Gefahr drohte. Dann aber schlug und trat er gegen alle, die seine Ziele gefährdeten. Löffke war der Bullterrier der Kanzlei, der mit seinem massiven Körper durch das Büro stampfte und lautstark Sekretärinnen rügte, die er bei einem privaten Telefonat ertappt hatte. Er gerierte sich als Kontrolleur, dem nichts in der Kanzlei verborgen blieb und verstand sich als unnachgiebiger Regisseur der zu optimierenden Arbeitsabläufe. Obwohl Stephan Löffke häufig als widerwärtig empfand, fragte er sich, mit welchem Recht Frodeleit jetzt von ihm verlangte, die Lichtschranke zu testen?
»Sie sollten es selbst tun!«, wiederholte Marie laut.
Frodeleit sah verwundert in die Runde. »Natürlich sollte niemand einfach so durch die Lichtschranke gehen«, sagte er leise. »Sie haben den Sinn meiner Worte nicht verstanden«, setzte er verschwörerisch flüsternd hinzu. »Begreifen Sie denn nicht, was ich mit meinen Worten bezweckt habe?«
Er schüttelte verständnislos den Kopf.
Stephan zögerte. Hatte Frodeleit mit seiner lauten Ankündigung eine Reaktion Bromscheidts erzwingen wollen? War es nicht geschickt, nach außen einen Keil in die Gruppe zu treiben? Die Löffkes auf der einen, die Frodeleits, er und Marie auf der anderen Seite?
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