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Tribunal

Tribunal

Titel: Tribunal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Erfmeyer
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traf ihn nicht mehr Verantwortung als sie selbst. Marie war versucht, ihre Strickjacke zu geben. Aber sie tat es nicht.
    Dörthe konzentrierte sich auf ihren Wurf. Sie trug eine altmodisch wirkende Bluse. Marie hatte sich schon auf den Weihnachtsfeiern über Dörthes biedere Kleidung gewundert. Aus den Blusenärmeln quollen ihre rundlichen, dicken Arme wie Würste hervor. Als sie die Jacke in einem hohen Bogen nach vorn warf, schrie sie wie eine Hammerwerferin kurz auf, machte dabei einen Schritt nach vorn, um sich sofort wieder zurückfallen zu lassen. Der Lichtkegel von Frodeleits Taschenlampe tanzte in das Dunkel des Stollens und erwischte für einen Sekundenbruchteil die fliegende Jacke. Alle duckten sich. Zögernd richteten sie sich wieder auf. Als Frodeleit in den Stollen leuchtete, lag die Jacke in einem Knäuel auf dem Boden. Sie hatte ein wenig Staub aufgewirbelt, mehr nicht. Die rot-violetten Lichtpfeile strahlten unbeirrt von einer zur anderen Stollenseite.
    »Die Jacke hat die Strahlen nicht berührt«, meinte Hubert. »Sie ist vorher auf den Boden gefallen.«
    »Oder sie hat die Schranke durchbrochen, ohne dass etwas passiert ist«, sagte Frodeleit. »Wir müssen den Test wiederholen. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass diese Schranke eine bloße Narretei ist.«
    Er leuchtete in das Dunkel des Stollens, aber der Lichtkegel verlor sich im Nichts. Der Tunnel führte schnurgerade weiter.
    »Meine Strickjacke!«
    Marie war entschlossen, ein Zeichen zu setzen. Hastig zog sie die Jacke aus, rollte sie zusammen und verknotete sie mit den Ärmeln zu einem handlichen Paket. Ohne länger nachzudenken warf sie die Jacke nach vorn. Frodeleit schaffte es nicht, den Wurf mit der Taschenlampe zu verfolgen. Das violette Licht tastete sich für einen kurzen Augenblick irritiert über die Jacke, bevor es wieder unbeirrt schnurgerade gegen die Stollenwände strahlte.
    Ungläubig schauten sie auf die auf dem Stollenboden liegenden Kleidungsstücke. Dörthe lachte schrill, doch bevor sie sich löste und nach vorn laufen konnte, um die Jacken zu holen, zuckten grelle Blitze zwischen den kupfernen Kabelenden und zerfielen in ein rotes Funkenmeer, das auf den Boden regnete. Von den Wänden brummte und knisterte es wie aus einem Schweißgerät. Bedrohliche Geräusche erfüllten den durch die Blitze flackernd ausgeleuchteten Stollen, hallten in die Ferne und erstickten irgendwo. Das Licht zitterte wütend und stach schneidend scharf bläulich, gelb und rot in die Dunkelheit, sich immer wieder zu einem neu entzündenden Blitz- und Funkennetz verbindend.
    Erschrocken wichen sie zurück und rannten in die Mitte der Halle. Dörthe keuchte ängstlich. Sie zitterte am ganzen Körper und suchte die Nähe zu Marie. Als der Spuk endlich aufhörte, roch es nach verbrannten Kabeln. Im Schein von Frodeleits Taschenlampe waberte graugrüner Qualm in die Halle, der in der Nase und im Rachen ätzte.
    Hubert Löffke, eben noch überzeugt, dass sich Bromscheidts technisches Arrangement als Bluff erweisen würde, spürte ein erschrockenes Pochen in seinem Körper. Er stand mit weichen Knien da, versucht wegzulaufen und zugleich gelähmt. Wieder drängten sie sich verängstigt aneinander.
    »Wir müssen zusammenhalten«, beschwor Frodeleit leise.
     
    »Es ist Zeit, schlafen zu gehen«, befahl der Lautsprecher. Bromscheidts Stimme surrte klar und väterlich wohlwollend.
    Irritiert drehten sie sich um, aber er zeigte sich noch immer nicht.
    »Die Eheleute Löffke gehen in den Stollen, in dem Sie sich vorhin aufhielten, bevor Sie in die Kathedrale durften«, säuselte er zynisch. »Die anderen begeben sich in den Stollen gegenüber. Die Tür ist nicht abgeschlossen. Sie werden dort Decken finden und reichlich zu essen. Sie benötigen dort auch keine Taschenlampen. Es ist hell wie in unserer gemütlichen Kathedrale.«
    »Bitte nicht!«, bettelte Verena. Sie bebte am ganzen Körper.
    »Es liegt allein an Herrn Löffke, wie lange Sie hierbleiben«, antwortete Bromscheidt monoton. »Wenn er gesteht, sind Sie alle frei«, versprach er. »Sofort!«
    Löffke trat irritiert zur Seite und zog Dörthe zu sich heran. »Glaubst du mir wenigstens?« Er umfasste sie mit beiden Händen und schüttelte sie fast.
    »Aber er muss dich doch von irgendwoher kennen«, vermutete sie ziellos.
    »Das Essen ist angerichtet«, verkündete Bromscheidt feierlich. »Es gibt Fleisch- und Wurstplatten. Ich habe sie heute Nachmittag frisch abgeholt. Frau Löffke, die Waren aus der

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