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Tribunal

Tribunal

Titel: Tribunal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Erfmeyer
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Lautsprecher oder Mikrofone verbergen konnten. Trotzdem flüsterte Stephan, als er sich über den Tisch beugte und sagte: »Wir müssen etwas tun!«
    Frodeleits Augen weiteten sich entsetzt. Hektisch blickte er um sich, aber Stephan schüttelte beruhigend den Kopf.
    »Ich glaube, hier sind keine Abhörgeräte. Wenn wir uns leise unterhalten, dürfte er uns in seiner Kathedrale nicht hören. Wir müssen die Zeit hier drin nutzen. Dieser Stollen scheint genauso wie derjenige gegenüber nur ein Stumpf zu sein. Fluchtmöglichkeiten bestehen allein im Hauptstollen, und zwar nur in der Richtung, aus der wir ursprünglich gekommen sind. Das wäre von hier aus gesehen durch die Halle und dann rechts. Oder entgegengesetzt dazu nach links. Ich vermute, dass sich dort Bromscheidt irgendwo aufhält. Es muss nach links weitergehen, denn die von ihm verlegten Kabel führen alle in diese Richtung. Ich vermute, dass es da noch eine elektrische Installation von früher gibt, die die Lampen und die anderen Geräte speist. Bromscheidt hat die Kontrolle über diese Dinge. Deshalb wird er irgendwo wie die Spinne im Netz in einer Nische sitzen und sicherlich eine Fluchtmöglichkeit nach oben haben. Schließlich kann er nicht sicher sein, dass seine Lichtschranken ständig funktionieren.«
    »Gib mir noch etwas Wasser«, sagte Marie lauter.
    »Du hast die Flasche neben dir auf dem Boden«, antwortete Stephan ebenso laut, um dann leiser fortzufahren. »Wir müssen einen Weg finden, die Zuleitungen zu den Lichtschranken zu durchbrechen.«
    »Wie werden denn die Lichtschranken versorgt, die sich in dem Hauptstollen befinden, aus dem wir hergekommen sind?«, fragte Frodeleit leise.
    »Entweder gibt es dort eine eigene Versorgung, was ich allerdings für unwahrscheinlich halte«, antwortete Stephan, »oder die Lichtschranken werden aus dem Stollenfortsatz gegenüber mitgespeist. Das würde bedeuten, dass die Versorgungsleitungen durch die Halle geführt werden. Allerdings habe ich keine Leitungen gesehen, die an der Decke entlanggeführt werden. Also müssen sich die Kabel auf dem Boden oder an der Wand befinden. Wenn wir es schaffen, die Stromzufuhr zu unterbrechen, müssten die Lichtschranken rechts in den Stollen ausgeschaltet sein. Dann könnten wir zu dem Ausgang flüchten, durch den wir eingestiegen sind.«
    »Ach, und womit wollen Sie dann die Kabel unterbrechen?«, fragte Frodeleit belustigt. »Haben Sie eine Zange zur Hand, mit der wir die Kabel durchtrennen können? Ich vermute, nein. Oder wollen Sie sie etwa mit den kleinen Plastikmesserchen durchsägen? Und selbst wenn wir das entsprechende Werkzeug hätten: Wie, glauben Sie, können Sie denn das Kabel unbemerkt entschärfen, wenn wir ständig von Herrn Bromscheidt beobachtet werden?«
    Frodeleit schüttelte den Kopf. »Ich glaube, Sie machen sich das viel zu einfach, Herr Knobel! Herr Bromscheidt hat sich auf die Situation gut vorbereitet. Er hat in vermutlich tagelanger Arbeit die Gerätschaften unter Tage befördert und in aller Ruhe installiert. Denken Sie an seine Erklärung: Gewöhnlich kommt monatelang kein Mensch hierhin. Damit wissen wir zugleich, wie unsere Aussichten sind, Herr Knobel. Er hat sich, von wem und wann auch immer, Schlüssel zu der Bunkeranlage besorgt. Vielleicht besitzt er sie schon seit Jahren. Vielleicht hat sich aber auch eine ganz banale Gelegenheit gefunden, sie kurzfristig in Besitz zu nehmen und Duplikate anzufertigen. Was wissen wir denn schon, Herr Knobel, wie lange und wie gewissenhaft dieser Mensch diese Aktion geplant hat?«
    »Er muss nicht nur die Schlüssel besitzen«, sagte Stephan. »Er muss diese Anlage auch mit Strom versorgen, denn ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, dass es hier noch elektrische Anlagen aus der Kriegszeit gibt.«
    »Gut, Herr Knobel! Und was zeigt uns das? Es zeigt uns, dass es so ist, wie ich sage: Dass es sich bei Bromscheidt um einen Menschen handelt, der hier eine minutiös vorbereitete Planung perfekt umsetzt. Vielleicht empfindet er das als seinen ganz persönlichen Beitrag zur Kulturhauptstadt. Und ja, vielleicht ist er auch krank, Herr Knobel. Trotzdem kann ich nur sagen, dass mein Respekt vor Herrn Bromscheidt von Minute zu Minute steigt. Er hat uns mit simplen Mitteln eingefangen und in ein Tunnelsystem gelockt, aus dem wir uns offensichtlich nicht ohne Weiteres selbst befreien können. Es handelt sich immerhin um Deutschlands größtes unterirdisches Bunkersystem mit mehreren Kilometern Stollenlänge.

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