Tribunal
Haben Sie denn eine Ahnung, welche Überraschungen er sich noch für uns ausgedacht hat? Mit einem Herrn Bromscheidt müssen wir ganz anders umgehen, Herr Knobel.«
»Nämlich?«
»Kooperation.«
»Was für eine Kooperation?«, fragte Marie irritiert.
»Wir sind nicht sein Ziel«, erinnerte Frodeleit ruhig.
»Ich muss immer an Dörthe denken. Sie musste bestimmt schon wieder in den Stollen machen. Sie hat doch immer so einen Blasendrang«, warf Verena ein.
»Aber die Löffkes sind doch Ihre Freunde«, entgegnete Marie.
»Dieses Argument aus Ihrem Munde zu hören ist mehr als erstaunlich«, erwiderte Frodeleit mit höhnischem Grinsen.
»Was ist falsch daran?«, fragte Stephan.
»Soweit ich von Hubert weiß, sind Sie doch in der Kanzlei sein größter Widersacher. Hubert ist doch schon viel länger dort tätig als Sie. Sie waren es doch, der ihn mit einem mehr als zweifelhaften Karrieresprung überholt hat. Hubert berichtet ständig davon, dass Sie jede nur denkbare Nische nutzen, um aus dem Kanzleibetrieb auszubrechen. Gegen Sie ist Hubert doch ein richtiger Frontmann. Er schmeißt den Laden. Er macht die Umsätze.«
»Was wollen Sie damit sagen?«, fasste Stephan aggressiv nach.
»Es ist doch so, Herr Knobel! Und Sie, Frau Schwarz, sind in der Kanzlei als Freundin von Herrn Knobel – bitte, ich will Ihnen nicht zu nahe treten – ein rotes Tuch. Offensichtlich fühlen Sie sich keinerlei gesellschaftlichen Konventionen verpflichtet und tun, was Sie wollen.«
»Das heißt?«, bohrte Marie gereizt nach.
»Es ist doch merkwürdig, dass Sie beide zu einem Zeitpunkt auftauchen, wo wir in eine Falle geraten, die sich ganz ersichtlich gegen Hubert Löffke richtet«, sagte Frodeleit. »Und dann noch Bromscheidts prompte Versicherung, dass Ihnen nichts passiert.«
»Sie können mir glauben, Stephan und ich würden viel geben, wenn wir zu diesem Abend im Hause Bromscheidt erst gar nicht mitgekommen wären«, klagte Marie.
»Na also«, bemerkte Frodeleit knapp. »Dann brauchen Sie die Löffkes ja nicht in Schutz zu nehmen. Wir wollen …«
Er unterbrach sich.
Bromscheidts Stimme war aus der Halle zu hören.
Sie sprangen auf, öffneten die Tür und verließen das kleine Seitenschiff durch die Stahltür. Doch Bromscheidt sprach nicht über Lautsprecher zu ihnen. Er stand in der Kathedrale, unmittelbar am Beginn des Hauptstollens auf der linken Seite. Er hielt Dörthes und Maries Kleidung in den Händen.
»Ich wollte Ihnen die Sachen wiedergeben«, rief er. »Bitte bleiben Sie dort stehen, wo Sie sind!«
Hätten sie jetzt nicht auf Bromscheidt zulaufen und ihn überwältigen können? Hätte er wirklich eine Chance gehabt, vor ihnen bis hinter die Lichtschranke zu flüchten und sie rechtzeitig wieder einzuschalten? Doch Frodeleit hielt die anderen sanft zurück. »Vernünftig sein«, mahnte er flüsternd.
»Die Daunenjacke gehört Frau Löffke«, sagte Marie. »Sie wird sie brauchen.«
»Ich weiß«, antwortete Bromscheidt, »aber sie wird sie nicht bekommen. Die Löffkes bekommen nichts. Keine Wohltaten, keine Vergünstigungen, keine Gnade. – Vielleicht braucht jemand von Ihnen die Jacke? Sie scheint gut zu wärmen. Ich war ja nicht auf vier Gäste eingerichtet, für die ich sorgen muss. Es sind, fürchte ich, nicht genug Decken da. Ich lege die Sachen hier auf den Fußboden. Sie können sie gleich aufheben, wenn ich wieder weg bin. Leider hat Herr Löffke noch nicht gestanden, sodass Sie länger hierbleiben müssen.«
Bromscheidt hob bedauernd die Schultern. Dann ließ er die Kleidungsstücke fallen und eilte in den Stollen zurück. Stephan rannte hinterher, doch kaum, dass er die Halle durchquert und den Eingang zum Hauptstollen erreicht hatte, schalteten sich die rot-violetten Lichtpfeile wieder ein und versperrten den Weg wie ein todbringendes Gatter.
»Herr Bromscheidt!«, schrie Stephan in die Schwärze des Stollens.
Die sich entfernenden Schritte hielten inne. »Ja?«, kam es aus dem Dunkel zurück.
»Löffke weiß nicht, was er gestehen soll. Er ist sich keiner Schuld bewusst.«
»Das ist umso schlimmer«, kam es nüchtern zurück. »Aber es wundert mich nicht.«
»Geben Sie uns wenigstens ein Stichwort«, bat Frodeleit von hinten. »Geben Sie uns die Chance, Herrn Löffke selbst auf die Spur zu kommen!«
»Jetzt spricht aus Ihnen ein wahrer Ermittler, Herr Frodeleit«, hallte es spottend aus dem Tunnel. »Aber ein Richter muss ja auch den Tatsachen verpflichtet sein. Denken Sie daran, dass
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