Tribunal
die Kamera befand.
»Kommen Sie näher, Frau Schwarz«, sagte Bromscheidt sanft.
Marie zögerte. Was hätte es für Konsequenzen, wenn sie ihm nicht folgte?
»Machen Sie es nicht noch schlimmer, Frau Schwarz!«
Die weiche Stimme Bromscheidts ängstigte sie. Er hatte wieder den elektronischen Effekt zugeschaltet, der die Stimme hallen ließ und ihr zugleich einen warmen Basston verlieh. Es war eine perfekte Ansagestimme, derjenigen in der Abfertigungshalle eines Flughafens ähnlich. Aber die makellose Stimme war bedrohlich. Sie war überlegen und von verletzender Schärfe.
Sie ließ den Türgriff los.
»Nun kommen Sie bitte her zu mir! Sie wissen doch, wo Sie mein Auge finden.«
Er lachte. Die elektronische Verfremdung machte sein Lachen klar und schneidend.
Langsam ging Marie auf die Kamera zu.
»Bis hier, das reicht!«, wies er sie an. »Sonst sehe ich Sie ja nicht richtig.«
Frodeleit war im Türrahmen erschienen und beobachtete, wie sich Marie vor der Kamera positionierte.
»Sagen Sie Ihren Mitstreitern bitte, dass es morgen kein Frühstück gibt! Es war nicht meine Absicht, Ihnen Derartiges zuzumuten, aber ich muss auf das, was Sie gerade gemacht haben, reagieren, Frau Schwarz! Bitte verstehen Sie mich richtig! Hier gebe ich die Regeln vor und Sie müssen nichts weiter tun, als sie zu befolgen. Es passiert Ihnen nichts, wenn Sie das tun. Je schneller wir gemeinsam an unser Ziel kommen, desto schneller sind Sie auch wieder draußen. Ich wiederhole das und gebe Ihnen nochmals mein Wort darauf. Vielleicht bedeutet Ihnen mein Wort nichts, aber Sie werden am Ende sehen, dass ich Sie nicht enttäusche. Es geht Ihnen doch nicht schlecht, Frau Schwarz! Abgesehen davon, dass Sie sich unfreiwillig hier aufhalten, fehlt Ihnen nichts. Hat das Abendessen nicht geschmeckt?«
Bromscheidt hielt inne.
Marie sah verunsichert in die Kameralinse.
»Nichts sagen!«, zischte Frodeleit von der Seite.
»Der Richter gibt gute Ratschläge, wie ich höre«, fuhr Bromscheidt fort. »Die Elektronik vollbringt heute ja wahre Wunderwerke. Man hört wirklich fast jeden Ton; ich hätte das selbst nicht für möglich gehalten. Man bekommt beste technische Qualität für einen Spottpreis. Aber Sie möchten doch etwas sagen, Frau Schwarz. Also sprechen Sie! Herr Frodeleit ist zwar der Richter, aber er kann Ihnen schließlich nicht das Wort verbieten. Also?«
»Das Ziel?«, fragte sie. »Was ist Ihr Ziel?«
Sie sah fordernd in die Linse.
»Herr Löffke muss zur Verantwortung gezogen werden, Frau Schwarz. Weshalb, habe ich bereits gesagt. Und er ist gut beraten, in sich zu gehen und sich zu seiner Schuld zu bekennen. Vielleicht überzeugen Sie ihn davon. Er verantwortet letztlich, wie lange Sie hier bleiben müssen. Ich will, dass er verurteilt wird. Das wird Herr Frodeleit tun. Ich möchte so etwas wie einen Schauprozess. Hier in der Kathedrale. Herr Löffke wird von seinem eigenen Freund verurteilt, finden Sie das nicht gelungen?«
»Aber wenn er Parteiverrat begangen hat, könnten Sie ihn anzeigen. Er würde doch so oder so zur Rechenschaft gezogen werden«, folgerte Marie.
»Frau Schwarz!«, antwortete Bromscheidt gedehnt. »Was alles sein könnte, steht hier nicht zur Debatte. Ich weiß, was Sie jetzt alles einwenden könnten. Dass ich mich selbst strafbar mache, wenn ich Sie hier festhalte? Geschenkt! Vielleicht, dass ich nicht besser bin als Löffke, wenn ich mich so verhalte? Auch geschenkt! All das kann sein und kann auch nicht sein. Das sind die Variablen des Rechts. Das Entscheidende ist: Ich gehe diesen Weg so, wie ich ihn vorgezeichnet habe. Und Sie alle müssen ihn mitgehen, wenn Sie nicht selbst leiden wollen. Die Frage lautet also: Wollen Sie sich wirklich für einen Herrn Löffke opfern, Frau Schwarz?«
»Nichts sagen!«, zischte Frodeleit erneut.
»Doch, doch, Sie dürfen etwas sagen«, flüsterte Bromscheidt. »Es ist ja eine Frage, die einer Antwort bedarf. Aber ich meine, Sie sollten sie nicht jetzt beantworten. Schnellschüsse sind selten gut. Nehmen Sie meine Frage einfach mit, Frau Schwarz! Diskutieren Sie sie mit Ihrem Freund und mit den Frodeleits. Nehmen Sie die Frage mit in den Schlaf. Sie sollten sich jetzt wirklich hinlegen. Sie wissen, dass ich Heizlüfter bereitgestellt habe. Weiter hinten liegen Decken. Ich hoffe, dass Sie damit auskommen. Ich war, wie Sie wissen, auf so viel Besuch nicht eingestellt. Schlafen Sie gut, Frau Schwarz! Und richten Sie diesen Wunsch auch den anderen aus! – Ach,
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