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Tribunal

Tribunal

Titel: Tribunal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Erfmeyer
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noch eins, Frau Schwarz: Die Kathedrale hat einen empfindlichen Bewegungsmelder. Auch so ein elektronisches Bauteil, das gleichermaßen gut wie billig ist. Also: Sie verlassen Ihren Stollen nicht. Sie haben weiter hinten eine Toilette. Es gibt also keinen Grund, in die Kathedrale zu kommen. Sie haben genug Wasser, wenn Sie Durst verspüren oder wenn Sie sich waschen wollen. Fließendes Wasser kann ich leider nicht anbieten. Aber Ihr Aufenthalt soll ja auch nicht für ewig sein. – Haben Sie noch Fragen?« Er formulierte weich, aber er duldete keine Nachfragen.
    »Keine Fragen«, antwortete Frodeleit folgsam von der Seite und bedeutete Marie mit einer Geste zu schweigen.
    Der Lautsprecher schaltete sich mit leisem Knistern ab.
    Frodeleit winkte Marie zu sich in den Stollen. »Da sehen Sie die Sanktion«, hielt er ihr vor, aber er vermied einen vorwurfsvollen Unterton. »Sie dürfen nicht ernsthaft erwarten, er ließe Sie einfach zu den Löffkes gehen. – Fühlen Sie sich denn gut, weil Sie sich gegen Bromscheidt aufgelehnt haben? Oder fühlen Sie sich schlecht, weil Sie unsere Position verschlechtert haben?«
    Marie schwieg.
    »Sie sollten wissen, dass wir eine Gruppe sind, Frau Schwarz. Sie haben eigenwillig gehandelt und uns geschadet«, fasste Frodeleit zusammen.
    »Löffke und seine Frau brauchen Hilfe«, erwiderte sie knapp.
    »Sie müssen lernen, wem Sie Ihre Solidarität schenken«, gab er zurück.
    »Ist das Ihr Verständnis von Recht?«
    »Wir sind hier nicht im richtigen Leben, Frau Schwarz, ich sagte es gerade. Wir sind einer Gewalt ausgeliefert, die mit uns spielt. Da gelten andere Gesetze«, erklärte Frodeleit.
    Marie ging an ihm vorbei zu der kleinen Bautoilette, die mitten im Stollen stand. Sie zog die Plastiktür zu und verriegelte sie von innen. Durch die an der Decke angebrachten Luftschlitze schimmerte das Licht der von Bromscheidt aufgestellten Deckenfluter. Es war still. Sie konzentrierte sich und war doch blockiert. Die anderen saßen nur einige Meter von ihr entfernt. Marie fühlte sich alleingelassen. Unverrichteter Dinge brachte sie ihre Kleidung in Ordnung und verließ die Toilette.
    »Gibt es keine Wasserspülung?«, fragte Verena.
    Marie antwortete nicht. Sie nahm eine der Decken, die neben der Toilette von Bromscheidt bereitgelegt worden waren, rollte sie auf dem Boden aus und legte sie an einem Ende doppelt, damit ihr Kopf erhöht lag. Dann ließ sie sich auf der Decke nieder und schlug sie über ihrem Körper zusammen. Slip, Jeanshose, T-Shirt, Pullover und auch die Jacke, die sie wieder angezogen hatte, fühlten sich an, als würden sie an ihrem Körper kleben.
    Stephan saß immer noch auf der Bank an dem Holztisch. Er wusste, dass er sie im Stich gelassen und vor Frodeleit kapituliert hatte und schämte sich, zu einem Zeitpunkt versagt zu haben, als sie noch nicht wissen konnten, wie Bromscheidt reagieren würde. Er war mutlos gewesen. Aber hatte umgekehrt Frodeleit nicht recht, wenn er Marie Naivität vorwarf? Stand wirklich zu erwarten, dass Bromscheidt sie einfach gewähren ließ? War es nicht lediglich ihr Stolz gewesen, mit dem sie sich gegen den unsympathischen Frodeleit stellte, den VROLG, wie sie ihn abschätzig nannte, wenn sie die Buchstaben zu einem Wort aneinanderreihte und würgend aussprach?
    »Stephan!« Marie sah zu ihm auf. »Komm hierher! Bitte!«
    Er richtete sich unschlüssig auf.
    »Komm!«, sagte sie wieder.
    Endlich erhob er sich. Auch Frodeleit stand auf. Er ging auf Marie zu und beugte sich zu ihr herunter.
    »Wir sollten nicht alle gleichzeitig schlafen, Frau Schwarz. Wir wissen nicht, was Herr Bromscheidt vorhat. Es ist besser, wenn wir abwechselnd Wache halten.«
    Er sah auf seine Armbanduhr.
    »Es ist jetzt schon nach eins. Ich schlage vor, dass jeder von uns eineinhalb Stunden wacht. Schlafen Sie jetzt und übernehmen Sie dann die letzte Schicht! Dann haben Sie einige Stunden Schlaf am Stück. Und wenn der Terror hier nicht in aller Frühe weitergeht, wecken Sie einen von uns auf und legen sich selbst noch einmal hin. Ich bleibe jetzt wach, anschließend löst mich Verena ab, die dann mit Herrn Knobel tauscht. Ist das für Sie okay?«
    Er lächelte fürsorglich. »Wir müssen aufeinander aufpassen, das wissen Sie doch.« Er zwinkerte mit den Augen.
    Marie nickte. Sie kam sich vor wie ein Kind, dem gerade die Gute-Nacht-Geschichte vorgelesen wurde. Wie konnte sie sich einfach hinlegen, ohne darüber nachzudenken, wie es weiterging? Frodeleit vermittelte

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