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Tribunal

Tribunal

Titel: Tribunal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Erfmeyer
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tatsächlich Sicherheit. Er hatte die ganze Zeit die Gruppe dominiert, auch schon, als Dörthe und Hubert Löffke noch bei ihnen waren. Er hatte sich zu jedem Zeitpunkt klug und richtig verhalten.
    Stephan holte einen der Heizlüfter, zog das zugehörige Kabel nach und stellte das Gerät in der Nähe von Marie auf. Dann legte er sich zitternd neben sie und wagte nicht, sie zu umarmen.
    Frodeleit deckte die beiden zu. Er lächelte. »Bromscheidt muss auch schlafen«, flüsterte er. »Über kurz oder lang wird auch er müde. Und darin steckt unsere Chance.«
    »Er hat Bewegungsmelder und Lichtschranken«, sagte Marie matt. »Er wird geweckt, wenn wir irgendetwas machen.«
    »Unsere Gelegenheit wird kommen«, versprach Frodeleit. »Gute Nacht!«
    Marie blickte um sich. Der Heizlüfter brummte und blies angewärmte staubige Luft in den Stollen. Frodeleit wirkte auf einmal so besonnen. War es sein Kalkül, nach außen mit Bromscheidt zu kooperieren und insgeheim konsequent nach Möglichkeiten zu suchen, diesen Menschen zu überwältigen? Sie hörte noch eine Weile Frodeleit und seine Frau miteinander sprechen. Sie verstand nicht, was sie sagten. Verena war ansonsten außergewöhnlich still. Sie stand ihrem Mann bedingungslos bei, unterstützte seine Karriere, in deren Glanz sie sich sonnte. Der bevorstehende Vorsitz des Herrn Frodeleit schien ein lang erarbeitetes, vielleicht auch verdientes Ziel zu sein. Stephan mochte die Verhandlungen beim Oberlandesgericht nicht. Er empfand sie als zu akademisch, zu lebensfremd und häufig attitüdenhaft. Jetzt, als Ruhe in den Stollen einkehrte, das Absurde ihrer Situation in dämmeriger Schläfrigkeit versank, wirkte Frodeleit sympathisch und menschlich. Warum hatte sie sich an ihm reiben wollen? Der Heizlüfter röhrte in die Stille. Marie wurde müde, aber sie schlief nicht ein. Stephan lag neben ihr. Endlich nahm er ihre Hand. Er wollte sein Verhalten erklären, ihr begreiflich machen, dass sie doch davon ausgehen musste, dass der Stollen, in dem sich Dörthe und Hubert Löffke befanden, abgeschlossen war. Er wollte ihr erklären, dass er nicht feige gewesen war, sondern die Erfolglosigkeit ihres Tuns im Vorhinein erkannt hatte. Aber er sagte nichts dergleichen. Es wäre gelogen gewesen und in Wirklichkeit hatte er in dem Moment, als Marie aufstand, um Dörthe die Jacke zu bringen, nicht einmal daran gedacht, dass der Stollen zwischenzeitlich verschlossen sein könnte. In diesem Augenblick hatte er nur erschrocken Maries Entschlossenheit bewundert und sich zugleich verpflichtet gefühlt, sein Zögern und sein Versagen entschuldigen zu wollen. Jetzt, wo sie in ihrem Stollen zwei bis drei Meter von dem Heizlüfter entfernt vertraut und fast wohlig nebeneinander lagen, empfand er die Berührung nicht mehr als ein äußeres Tun. Maries Hand war warm wie immer und sie hatte es ihm leicht gemacht, zu ihr zu kommen. Er wagte nicht, ihre Hand fester zu drücken. Er konnte ihre Geste des Zueinanderfindens nicht annehmen und so lagen sie nebeneinander, Hände haltend, ohne sich dabei wirklich zu berühren. Auch Stephan wurde unter dem Eindruck der ausdörrenden Hitze müder. Doch es war ein schuldbeladenes Müdewerden. Er konnte sich nicht befreit dem Schlaf hingeben, einerseits, weil sie unbestritten Gefangene des unkalkulierbaren Bromscheidt waren, andererseits und noch mehr deswegen, weil er unter der Decke, die ihre Zweisamkeit beschützte, nicht zu Marie zu finden wagte, und es war nicht Maries Sache, über ihre einladende Geste hinaus ihm das Schuldbewusstsein zu nehmen, das ihn hinderte, auch im Herzen bei ihr zu sein.
    Sie dösten beide vor sich hin. Achim und Verena Frodeleit redeten leise im Hintergrund. Doch die Worte, die die beiden miteinander wechselten, drangen nun immer deutlicher in Maries und Stephans Ohr. Sie redeten über jene Kooperation mit Bromscheidt, die Frodeleit nur mit einem Stichwort eingeworfen hatte. Und aus dem lebhafter werdenden Austausch zwischen Achim und Verena stach ein Wort immer deutlicher und häufiger hervor: Notstand. Frodeleit berief sich wieder und wieder auf diesen Begriff, der sein Handeln juristisch legitimieren würde. Verena bestärkte ihren Mann nach Kräften und sie fand schließlich zu der entscheidenden Schlussfolgerung: Bei allem, was geschah, war der einzige und alles zu verantwortende Täter unzweifelhaft Bromscheidt. Auch für Marie fand Verena ein passendes und abschließendes Urteil: Dummheit! Sie flüsterte es in dem festen

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