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Tribunal

Tribunal

Titel: Tribunal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Erfmeyer
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Verena nahm lebhaft Anteil an seiner Karriere, prägte sich erstaunlich gut Namen und berufliche Positionen von Menschen ein, die er ihr gegenüber nur ein- oder zweimal erwähnt hatte. Aufmerksam registrierte sie, wo sich ihr Mann beruflich gerade befand und welche Karriere ihm bevorstand. Sie unterstützte seinen Werdegang in jeder nur erdenklichen Hinsicht, stellte ihre eigenen beruflichen Pläne zurück und ordnete sich ihm unter. Er hatte dies oft von ihr verlangt, manchmal nur kleine Hinweise erteilt, wie sie sich verhalten solle, und manchmal war es deswegen zu heftigen Streitereien gekommen, in deren Verlauf er unmissverständlich zum Ausdruck brachte, dass sie hinter ihm zurückzustehen habe. Sie hatte sich schließlich gefügt, und das Eigenartige war, dass er, obwohl doch eigentlich an seinem Ziel angekommen, gerade dieses Verhalten an ihr innerlich missbilligte: Sie war ihm zu devot. Ihr vorauseilender Gehorsam widerte ihn an und führte zu harten Auseinandersetzungen, deren tatsächlichen Anlass er ihr gegenüber indes nicht preisgab und sich stattdessen in Nebensächlichkeiten ihres gemeinsamen Lebens verstrickte, die das Fass zum Überlaufen zu bringen schienen. Dann schrie er sie oft an und sie heulte, weil sie nicht verstand, weshalb sie angeschrien wurde.
    Frodeleit war zeugungsunfähig. Er hatte ihr lange verschwiegen, was er von Anfang an wusste. Früher hatte ihn die Kinderlosigkeit belastet. Später verstand er, dass Kinder die Geschwindigkeit seiner Karriere gebremst hätten. Verena begleitete ihn auf zahlreiche Seminare und Kongresse. Während er häufig Fachvorträge hielt, schloss sich Verena dem Programm für die Begleitpersonen an und besichtigte Schlösser und Museen, während er hinter dem Dozentenpult stand. Abends kehrten die Busse vom Beiprogramm zurück. Dann nahm er seine Frau in Empfang, beobachtete sie, wenn sie sich für den Abend herrichtete und die fachwissenschaftliche Gesellschaft in gemütlicher Runde in edlen Restaurants tafelte. Da schmückte man sich mit den Ehepartnern. Frodeleit war stolz darauf, dass Verena sich gekonnt zu schminken verstand. Frodeleits Frau zierte die Gesellschaft. Abends ließ er ihr den Vortritt.
    Frodeleit richtete sich drohend im Stollen auf. Die Heizlüfter röhrten und schienen immer lauter zu werden.
    »Ich bin entsetzlich müde«, schrie er.
    Er wusste, dass es den anderen ebenso ergehen musste. Begriff denn keiner, dass er Verantwortung für die Gruppe übernommen hatte? Warum wollten Stephan und Marie nicht verstehen, dass er auch in ihrem Sinne gehandelt hatte?
    Frodeleit griff nach einer Wasserflasche und ließ das Wasser in seinen Mund hineinlaufen. Die trockene warme Luft war unerträglich geworden. Er ging zu einem der Heizlüfter und riss das Kabel aus dem Stecker der Verlängerungsschnur. Dann nahm er Stephan ins Visier. Was hatte Löffke nicht alles über ihn erzählt, als der Kanzleisenior Dr. Hübenthal Stephan gegenüber Hubert den Vorzug gab und ihn dazu berief, namensgebender Partner der Kanzlei zu werden? Dr. Hübenthal & Knobel statt Dr. Hübenthal & Löffke. Hubert Löffke hatte aus Enttäuschung und Wut seinerzeit begonnen, Stephans Akten auf Fehler zu durchsuchen. Er hatte sich über das interne Computersystem in Stephans Fälle eingeklinkt und heimlich die Schriftsätze geprüft, in denen Stephan seine Prozesse verloren hatte. Frodeleit ging davon aus, dass Stephan von alledem zumindest teilweise wusste, weil Hubert ihm gegenüber einmal erwähnt hatte, dass ihm sein Rivale auf die Schliche gekommen sei, aber das ganze Ausmaß der Spionage kannte er sicher nicht. Frodeleit hielt dies alles noch wie eine eiserne Reserve zurück, die er nutzen würde, wenn Bromscheidt sie zwingen würde, sich gegen Löffke abzugrenzen. Zugleich merkte Frodeleit, wie befremdlich es auf Stephan und Marie wirken musste, dass er mit einem Hubert Löffke eine Freundschaft pflegte, dessen charakterliche Mängel einer engeren Verbundenheit entgegenstehen mussten. Löffkes Widerwärtigkeiten mussten ihnen durch das Freundschaftsband sanktioniert erscheinen. Er hingegen hatte Löffkes Spionagegeschichten stets amüsiert zugehört. Hubert konnte spannend erzählen, prahlte mit der List, mit der er Stephan über kurz oder lang beruflich überwinden würde, und kokettierte mit den Boshaftigkeiten, die er sich einfallen ließ, um Stephan bloßzustellen. All dies berührte Achim Frodeleit menschlich nicht. Er wertete Huberts Verhalten nicht, sondern

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