Tribunal
und verteilte auch für die anderen Teller und Tassen. Als er seine Brötchenhälften satt mit Butter bestrichen hatte, fiel ihm auf, dass Marie teilnahmslos am Tisch sitzen blieb. Bevor er sie fragen konnte, schaltete sich Bromscheidt ein:
»Haben Sie keinen Hunger, Frau Schwarz? Gefällt Ihnen mein Frühstück nicht?«
Frodeleit ahnte, dass sich Marie aus Solidarität mit den Löffkes weigerte zu frühstücken, und fürchtete zugleich, dass ihr Verhalten sich auf die anderen nachteilig auswirken würde.
»Ich denke, Frau Schwarz überlegt noch, was sie essen möchte«, antwortete er statt ihrer und trat sie unauffällig unter dem Tisch, wobei er sie, für Bromscheidt unsichtbar, mit den Augen anblitzte. Wollte Marie Schwarz nicht endlich begreifen, dass sie mit ihrer Protesthaltung über Wohl und Wehe der anderen entschied? Frodeleit spürte, dass er sich gegen Marie wehren musste. Nichts zu tun bedeutete, zu ihr zu halten.
»Sie sollten sich klar positionieren, wenn Sie das Frühstück nicht möchten«, sagte Frodeleit scharf, damit Bromscheidt ihn gut verstehen konnte. »Sagen Sie klar und deutlich, ob Sie das Frühstück nicht möchten, weil Ihnen unwohl ist, oder ob Sie es aus anderen Gründen verweigern. Es wird Ihnen keiner übel nehmen, wenn Ihnen flau im Magen ist.«
Frodeleit trank hastig einen Schluck Kaffee. Was wäre, wenn Marie offen gegen Bromscheidt Stellung bezog? Würde er sie nicht alle bestrafen und ihnen das Frühstück entziehen? Schnell stopfte er sich noch ein Brötchen rein.
Marie hatte die Hände still in den Hosentaschen vergraben und sah Frodeleit kalt ins Gesicht. Sie kennt keine Verantwortung, dachte Frodeleit, während er sie anlächelte.
»Ihrem Freund scheint es aber zu schmecken«, sagte er aufmunternd.
Stephan hatte zögernd ein Brötchen aus dem Korb genommen und aß es trocken. Das Brötchen tat gut und auch der Kaffee; Solidarität mit den Löffkes hin oder her. Stephan verspürte einen Drang zu essen und zu trinken und schämte sich zugleich vor Marie, sie nicht zu unterstützen. Sie mussten damit rechnen, für Stunden keine Nahrung zu bekommen. Was Marie tat, war unvernünftig. Gerade wenn sie sich gegen Bromscheidt auflehnte, würde sie Kraft brauchen. Stephan streichelte schüchtern Maries Arm.
»Ich habe keinen Hunger, danke«, sagte sie schließlich.
Frodeleit spürte die Halbherzigkeit ihrer Worte. Endlich zeigte sie Verantwortung, aber der Satz war zu unbestimmt. Er suchte nach Worten, mit denen er Marie lenken könnte, aber jede Nachfrage, jede Bekräftigung könnte sie genau das tun lassen, was er befürchtete. Ihr lauernder Blick verriet ihre feindselige Haltung und ihre Lust, um ihrer eigenen Prinzipien willen einen Eklat zu riskieren. Frodeleit tat so, als berühre ihr Blick ihn nicht, und schenkte Verena und Stephan Kaffee nach, reichte den Korb in die Runde und nahm selbst ein weiteres Brötchen. Maries Blick lastete auf ihm. Er war versucht, ihn zu erwidern und fürchtete dennoch die Konfrontation. Jede seiner noch so unbedeutenden Bewegungen stand unter ihrer Beobachtung. Frodeleit wurde unsicher. Marie blickte ihn an wie Bromscheidts Kameralinse. Frodeleit kratzte sich, er strich sich durchs Gesicht und über die Stirn. Er verlor seine Ruhe. Warum konnte sie, wenn sie nicht essen wollte, nicht einfach passiv am Tisch sitzen? Doch Marie suchte die Entscheidung. Sie würde ihn nicht mehr zur Ruhe kommen lassen. Bromscheidt blieb still. Bemerkte er nicht, was sich am Tisch abspielte, oder wartete er ab? Hastig schlang Frodeleit das Brötchen in sich hinein. Es würde für die nächsten Stunden reichen müssen. Er spülte mit Kaffe nach, trank die Tasse in einem Zug leer und füllte sie erneut. Die erste Thermosflasche war bereits leer. Er hatte am meisten getrunken. Den anderen musste der gleiche Anteil zustehen. Er rechnete den von Marie gleich heraus. Die zweite Thermosflasche musste nur für drei Personen reichen. Er hatte nicht mehr als ein Drittel des ganzen Kaffees getrunken. Frodeleit blieb gerecht.
»Muss ich mich schlecht fühlen, Frau Schwarz, was meinen Sie?«, fragte er provozierend scharf.
In diesem Tonfall befragte er Angeklagte nach dem Tathergang oder Zeugen, die sich in ihrer Nervosität ausschweifend in hilflosem verworrenen Gerede verloren. Zu Hause pflegte Verena ihm gegenüber denselben Tonfall, wenn er Wasserflecken auf dem Spülsteinrand nicht mit dem Feuchttuch beseitigte.
»Sie fühlen sich doch gut, Herr Frodeleit«, sagte
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