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Tribunal

Tribunal

Titel: Tribunal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Erfmeyer
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Heilige, Frau Schwarz«, warnte er und setzte, bevor sie etwas sagen konnte, nach: »Wagen Sie nicht, mir ernsthaft weiszumachen, dass Sie anders gehandelt hätten. Er treibt ein zynisches Spiel mit uns. Wir sind seine Spielpuppen. An Löffkes Situation können wir nichts ändern, so viel ist klar. Aber wir können noch immer wählen, ob es uns selbst schlecht oder noch schlechter geht. Darum allein geht es, Frau Schwarz. Ich gestehe, dass mir mittlerweile die Körperkräfte schwinden. Die Luft hier unten macht uns allen zu schaffen. Wir scheißen in das Plumpsklo, wir haben keine Kleidung zum Wechseln, wir beginnen zu stinken. Ich bekomme einen Koller von dieser Dunkelheit. Wir stehen doch alle kurz vor der Explosion. Sagen Sie nicht, dass es Ihnen anders geht. Behaupten Sie bitte nicht, dass Sie auch noch auf das Essen verzichten können. Meine Einstellung ist klar: Ich verzichte nicht, und schon gar nicht für Hubert, der uns all dies eingebrockt hat. Ist das klar, Frau Schwarz?«
    Er strich mit einer Hand über sein Kinn. Die Bartstoppeln wurden spürbar.
    Verena stand bei ihm. »Du hast recht«, sagte sie.
    So kannte sie ihren Mann. Er war Entscheider.
    »Ich habe noch gar nichts gesagt«, verteidigte sich Marie.
    »Es ist immer einfach, Reden zu schwingen«, dozierte Frodeleit. »Es sind Ihre offensichtlich im studentischen Leben geprägten Ideale, die Sie leiten. Ich nehme Ihnen das nicht übel, Frau Schwarz. Ganz früher habe ich auch einmal so gedacht. Aber irgendwann wird man erwachsen. Dann wird man wach.«
    »Ich finde, Sie gehen über das hinaus, was Bromscheidt von Ihnen erwartet«, widersprach Marie. »Sie folgen ihm weiter als nötig. Er will Sie doch als Richter. Werfen Sie Ihre Autorität ins Spiel. Nehmen Sie ihn beim Wort! Bromscheidt hat gesagt, Gerechtigkeit zu wollen. Warum diskutieren Sie nicht mit ihm?«
    »Du tust jetzt nichts, was dich gefährdet«, sagte Verena. »Lass uns sehen, dass wir halbwegs unbeschadet diesem Spuk entkommen.«
    »Wir befinden uns in einem Notstand«, erwiderte Frodeleit ruhig; er wusste sich durch sein Recht geschützt. »Was auch immer wir gegen Hubert und Dörthe tun, mag nicht in Ordnung sein, aber wir haben keine andere Wahl. Das Gesetz kennt diese Notlage. Es ist ein Notstand«, wiederholte er. »Frau Schwarz, glauben Sie denn, dass es mir gut geht? Sie wissen doch, wie es sich anfühlt, in Bromscheidts Kamera zu schauen und ihm Rede und Antwort stehen zu müssen. Sie kennen das Gefühl, wenn er Sie durch die Kamera mustert. Sie wissen nicht, welche Körperpartien er gerade an Ihnen beobachtet. Sie fühlen sich nackt. Überall zwickt es auf einmal. Ihnen läuft die Nase und Sie möchten sie hochziehen. Das Auge kitzelt und Sie möchten dort reiben, aber Sie unterlassen all dies, weil es unsicher und lächerlich aussehen könnte. Irgendwo sitzt er, der Herr Bromscheidt, und weidet sich an Ihnen. Er blickt amüsiert auf seinen Bildschirm, während Sie argumentativ jonglieren. Sie wollen niemandem schaden, aber es wird Ihnen unmissverständlich klargemacht, dass Sie gegen einen Menschen Position beziehen müssen, um sich selbst nicht noch mehr zu schaden. Jedem ist sein eigenes Hemd das nächste, Frau Schwarz. Da steckt viel Wahrheit drin und der Wahrheitsgehalt dieses Satzes wird sich nicht ändern.«
    Frodeleits Gesicht war rot angelaufen. Er hatte sich in Rage geredet, während er eisern und beschwörend auf Marie einwirkte. Er spürte Verena nicht, die seinen Arm streichelte, ihn bekräftigte und ihn trotzdem nicht erreichte. Frodeleit redete für sich selbst. Er verteidigte sich, verteidigte seinen beruflichen Stand, erklärte seine Feigheit und suchte mit juristischen Erklärungen seinen Platz in dieser irrealen Welt, knapp 15 Meter unter der Erdoberfläche. Es half ihm keiner, aber es widersetzte sich auch niemand. Alle würden ein Frühstück wollen. Um so einfache Dinge ging es. Frodeleit stand wie ein Gespenst in dem Stollen. Seine hagere Figur war nach vorn gekrümmt, sein Gesicht wirkte gefurcht und angestrengt. Er warb um unterstützende Worte. Verenas Streicheln half nichts. Er wollte endlich hören, dass ihn jemand bestätigte. Sie alle, die mit ihm in diesem Stollen saßen, profitierten von seiner Entscheidung. Es sollte doch endlich einer von ihnen die Stirn haben zuzugeben, an seiner Stelle genauso gehandelt zu haben. Seine Blicke irrten umher. Verena folgte ihm, wie sie es immer tat. Wie oft schon hatte er diese blinde Gefolgschaft gehasst?

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