Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tribunal

Tribunal

Titel: Tribunal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Erfmeyer
Vom Netzwerk:
durchbricht es die Lichtschranke. Haben Sie das verstanden?«
    Marie nickte, kniete sich hin und tastete sich langsam vor. Die Schwärze des Tunnels fiel wie ein Fallbeil hinter der Kathedrale ein. Sie sah nur noch die Lichtpfeile vor sich, dünn und gefährlich und giftig-schön in ihrer Farbe. Marie blieb in der Stollenmitte und ertastete behutsam den Fußboden. Als sie sich den Lichtpfeilen näherte, stützte sie sich fester auf die Hände. Sie durfte nicht nach vorn fallen. Endlich berührte ihre linke Hand das Seil. Vorsichtig nahm sie es auf. Behutsam bewegte sie sich rückwärts und zog das Seil nach. Es durfte auf keinen Fall die untere Schranke berühren. In Höhe der Tür, die zu Huberts und Dörthes Stollen führte, spürte sie, dass das Seil anzog. Sofort ließ sie es los und sah in die Ecke, wo die Kamera versteckt war.
    »Gut gemacht«, lobte Bromscheidt. »Herr Knobel, Frau Frodeleit, Herr Frodeleit, Sie setzen sich jetzt bitte alle im Schneidersitz auf den Boden!«
    Sie gehorchten.
    »Und jetzt, liebe Frau Schwarz, werde ich kurz die Schranke ausschalten und die Gitter zur Seite schwenken, damit Sie anschließend den Buffetwagen in die Halle ziehen können, und zwar so, wie Sie sich bisher bewegt haben. Wenn Sie oder einer von den anderen aufsteht, wird sofort die Lichtschranke aktiviert, und ich ziehe das Frühstück von der anderen Seite zurück. Verstanden?«
    Marie nickte.
    Die rot-violetten Lichtpfeile erloschen und das Gitter wich zurück. Marie zog. Das Seil spannte sich und tanzte zitternd über den Boden. Als sie kräftiger daran zog, hörten sie ein tiefes Rumpeln, kurz darauf sahen sie einen großen Tisch in die Halle fahren. Unter den Tischbeinen waren robuste Gummirollen montiert, die in verzinkten Achsgestellen lagerten. Unmittelbar hinter dem Wagen leuchteten die Lichtpfeile wieder auf: Das rot-violette Gatter war überwunden und die Scherengitter federten in ihre Ausgangslage zurück.
    »Ich wünsche guten Appetit!«, tönte es freundlich aus dem Lautsprecher. »Ziehen Sie bitte den Tisch in die Mitte der Kathedrale und holen Sie Ihre Sitzbänke aus dem Stollen. Ich werde Ihnen beim Frühstück zugeschaltet sein.«
    Sie betrachteten den reichlich gedeckten Tisch. Bromscheidt hatte einen Korb mit duftenden, bereits aufgeschnittenen Brötchen in die Mitte gestellt. Offensichtlich befand sich in der Fortsetzung des Hauptstollens, in dem sich Bromscheidt versteckt hielt, ein Ausgang zur Oberfläche, in dessen Nähe sich eine Bäckerei befinden musste. Stephan mutmaßte im Stillen, dass sie sich etwa in Höhe des Hauptbahnhofs befanden. Der Ausgang, den Bromscheidt benutzt hatte, könnte sich in der Nähe des Burgtors befinden. Er hatte sich nie sonderlich für die unterirdischen Bunkeranlagen interessiert, über die hin und wieder die Zeitungen schrieben, bevor sie wieder für einige Zeit aus dem öffentlichen Interesse verschwanden. Stephan erinnerte sich dunkel, dass in der Grundschule die Stollenanlage in Heimatkunde behandelt worden war und der Lehrer von mehreren Zugängen über Tage gesprochen hatte. Aber er konnte sich keine Einzelheiten ins Gedächtnis rufen. Die Tunnelbunker hatten für die Grundschüler nichts Bedrohliches. Man hätte gut Verstecken darin spielen können. So war er sich auch nicht sicher, ob es in der Nähe des Burgtors einen Zugang gab. Bromscheidt musste jedenfalls über Schlüssel zu mehreren Zugängen verfügen. Oder besaßen die Türen etwa alle ein identisches Schloss? Wie war Bromscheidt überhaupt an die Schlüssel gekommen?
    Frodeleit umrundete mit Verena den Tisch. Bromscheidt hatte an alles gedacht. Außer den Brötchen gab es verschiedene Sorten Wurst und Käse, jeweils ein eingeschweißtes Päckchen aus dem Supermarkt, dazu abgepackte Butter, einige Tomaten, die in einer Plastikschale lagen, eine ungeöffnete Plastikschale mit Kirschkonfitüre, Honig in einer Plastikflasche mit Klappverschluss, Orangensaft und Milch in Tetrapackungen und schließlich sogar Kaffee in zwei Thermosflaschen. Auf dem Tischrand stand Plastikgeschirr. Statt Plastikmessern hatte Bromscheidt kleine stumpfe Holzspachtel für den Aufstrich bereitgelegt: Nichts auf dem Tisch sollte als Werkzeug benutzt werden können.
    Frodeleit ging mit Verena in den Nebenstollen, um eine Sitzbank zu holen und bat Stephan und Marie, sich um die zweite Bank zu kümmern.
    Als sie an dem Frühstückstisch saßen, griff Frodeleit beherzt zu. Er legte sich und Verena Brötchenhälften auf den Teller

Weitere Kostenlose Bücher