Tribunal
überspringende Funken an den Kupferstäben, die in den Stollen ragen. Da kommt keiner durch. Reden Sie Löffke den Quatsch aus! Er würde es nicht überleben.«
Frodeleit schluckte. Er richtete sich auf, wollte Haltung demonstrieren und sich behaupten. Doch Bromscheidt dirigierte die Unterhaltung. Frodeleit reagierte nur. Er fühlte sich von Bromscheidt angewidert und zugleich verpflichtet, mit ihm eine Basis zu finden. Warum eigentlich?
»Aber dass Herr Löffke Sie anstiften wollte, ihn zu befreien, ist nicht straffrei, Herr Frodeleit! Sehe ich das richtig?«
»Das wird rechtlich unterschiedlich beurteilt«, belehrte Frodeleit. »Jeder Mensch verspürt einen natürlichen Freiheitsdrang. Deshalb ist es fraglich, ob der Gefangene straffrei bleibt, wenn er einen anderen dazu anstiften will, ihn zu befreien.«
»Ist Recht immer so akademisch und unterschiedlich auslegbar, Herr Frodeleit?«
»Es geht immer darum, eine mit unserer Rechtsordnung vereinbare Auslegung der Gesetze zu finden.«
Frodeleit blieb vage. Wie oft boten rechtliche Lehrsätze ein geeignetes Versteck, aus dem heraus sich schadlos argumentieren ließ. Er sagte nichts Falsches, aber er ergriff auch nicht für Löffke Partei. Aus den Augenwinkeln sah er Verena, Marie und Stephan im Halleneingang stehen. Sie regten sich nicht.
»Wie lautet denn Ihre eigene Auffassung zu dieser Rechtsfrage?«, hakte Bromscheidt weich nach und kaum, dass er diese Worte ausgesprochen hatte, zuckten grelle Lichtblitze hinter den Lichtschranken zu beiden Seiten des Hauptstollens. Bromscheidt ließ seine funkensprühende Maschinerie spielen.
»Sie wollen mich einschüchtern«, sagte Frodeleit, als das Schauspiel abrupt endete.
»Es ist die Frage, wie belastbar Ihre Entscheidungsfreiheit ist, wenn Ihnen Unheil angedroht wird«, erwiderte Bromscheidt.
»Sie wissen, dass man jeden Menschen brechen kann, wenn man es will«, hielt ihm Frodeleit entgegen.
»Wir stehen doch noch ganz am Anfang«, kam es über Lautsprecher zurück. Bromscheidt hatte wieder den elektronischen Effekt zugeschaltet, der seine Stimme hallen ließ. »Sie wissen doch, dass ich nicht will, dass Löffke straffrei ausgeht. Mit der richtigen Antwort tun Sie auch sich selbst einen großen Gefallen, Herr Frodeleit, und Sie brechen ja nicht einmal das Recht.«
Frodeleit schwieg. Sein Blick hielt der Kameralinse stand.
»Ich werde es wie folgt machen«, entschied Bromscheidt: »Dörthe Löffke bleibt, wo sie ist. Mitgefangen, mitgehangen. Das ist ein Prinzip, das doch unser Recht kennt, oder nicht? Sie, Ihre Frau, Marie Schwarz und Herr Knobel bekommen jetzt ein Frühstück. Ich habe meine Meinung geändert. Das ist Gnade, nein, das ist meine vorauseilende Belohnung für Ihre Loyalität, Herr Frodeleit. Ist das in Ordnung?«
Frodeleits Miene löste sich. Er versuchte, es sich nicht anmerken zu lassen.
»Halt! Antworten Sie erst, wenn ich zu Ende geredet habe«, forderte Bromscheidt. »Bejahen Sie, dass Löffke sich strafbar gemacht hat, bleibt Frau Löffke, wo sie ist, und Sie bekommen das Frühstück. Verneinen Sie, dass Löffke sich strafbar gemacht hat, bleibt Frau Löffke trotzdem dort, wo sie ist, aber es gibt für Sie vier kein Frühstück. Also: Wie entscheiden Sie sich?«
»Ich finde das zynisch. Sie bieten keine wirklichen Alternativen, Herr Bromscheidt.«
»Doch«, antwortete der Lautsprecher. »Sie entscheiden, ob Sie und Ihre Mitstreiter ein Frühstück bekommen oder nicht. So einfach ist das. Ob es einem gut oder schlecht geht, hängt manchmal nur davon ab, ob man auf die entscheidende Frage die richtige Antwort gibt. Und was richtig ist, sagt Ihnen Ihr Instinkt. Der Instinkt, der Ihr Weiterleben sichert. Tun Sie nicht so, als sei Ihnen dieses fremd.«
Frodeleit schwieg.
»Also darf ich Ihr Schweigen als Zustimmung werten?«
Frodeleit schwieg weiter.
»Na also.« Bromscheidt atmete hörbar aus.
»Gehen Sie wieder zu Ihrer Fraktion! Das Frühstück kommt in wenigen Stunden zu Ihnen. Der Arbeitstag wird früh anfangen. Sie haben heute den Prozess Ihres Lebens vor sich, Herr Frodeleit. Ruhen Sie sich noch etwas aus! Sie brauchen Ruhe.«
Der Lautsprecher knisterte, so wie immer, wenn Bromscheidt sich abschaltete oder nur suggerieren wollte, dass er nicht mehr präsent war. Frodeleit war sich sicher, dass Bromscheidt nach wie vor lauschte. Er schlich zu seinem Stollen zurück und drängte Marie, die regungslos stehen blieb, als er eintreten wollte, an die Seite.
»Spielen Sie nicht die
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