Tribunal
ist selten genug, dass wir in einer Strafsache Zeugen haben, die von ihrer beruflichen Disposition her mit dem Recht verbunden und deshalb über jeden vernünftigen Zweifel erhaben sind.
Manchmal ist die Sachlage doch recht einfach zu beurteilen. – Ich darf also zusammenfassen: Sie, Frau Schwarz, und Sie, Herr Knobel, haben nichts mitbekommen.«
»Ja«, antworteten beide.
Der Beamte nickte. »Ich habe mir auch nichts anderes gedacht. Frau Löffke und Frau Frodeleit haben auch nichts anderes sagen können. Aber ich dachte mir: Immerhin sind die beiden die Ehefrauen. Und Sie wissen ja, Herr Knobel, es kann schließlich immer mal sein, dass die Frauen zu sehr im Lager ihrer Männer stehen und entsprechend aussagen.«
Er lächelte.
»Es sollen nur alle Eventualitäten ausgeschlossen werden. Ich fertige das Protokoll schnell aus. Sie brauchen dann nur noch zu unterschreiben.«
6.
Als sie die schmale Straße von Syburg hinab ins Ruhrtal fuhren, schneite es wieder. Es war erst rund zwei Wochen her, als Stephan und Marie auf dieser Straße dem Wagen von Hubert Löffke gefolgt und nach ihm auf das Grundstück gefahren waren, wo sie der vermeintliche Paul Bromscheidt empfing. Jetzt, wo der pittoreske Vorort mit seiner tausendjährigen Kirche in seiner hügeligen Umgebung wie eingezuckert wirkte und das Motiv eines Adventskalenders hätte sein können, war es, als läge das abendliche Gespräch mit dem angeblichen Psychologen noch viel weiter zurück. Sie parkten so vor dem Haus, wie sie es damals getan hatten, und als sie klingelten, sahen sie genauer auf das Namensschild. ›Britta Stein/Peter Stiezel‹ stand dort in deutlicher und sauberer Schrift. Büllesbach hatte das Schild damals ausgetauscht, so wie alles in dem Haus verändert war, was darauf hätte hindeuten können, dass seine Halbschwester und sein Schwager die Eigentümer dieses Anwesens waren.
»Wir sind um diese Jahreszeit gewöhnlich nicht hier«, erklärte Britta Stein.
Sie mochte Mitte 40 sein und wirkte sehr gepflegt. Ihr blondes Haar hatte sie hinten zu einem Knoten zusammengebunden. Ihr Mann schien einige Jahre jünger zu sein und war etwas kleiner als sie.
»Deutschland ist im Winter nicht wirklich schön, jedenfalls nicht in dieser Gegend. Aber Bernds Tod hat uns hierher zurückgezwungen.«
Sie lehnte sich nachdenklich zurück.
Stephan sah zwischen ihr und ihrem Mann hindurch. Hinter dem großen Panoramafenster stiegen die Dampfschwaden auf.
»Ja, wir haben die Poolheizung angemacht«, erriet Herr Stiezel Stephans Gedanken.
»Kollege Löffke hat den Pool die Blaue Lagune genannt«, erinnerte Stephan.
»Blaue Lagune?« Herr Stiezel lachte. »Nun ja, es ist eben ein beheizter Pool, nicht mehr. Bei dieser Witterung wölkt es schnell.«
»Uns interessiert die Persönlichkeit Ihres Halbbruders beziehungsweise Schwagers«, sagte Marie und wiederholte damit, was sie schon bei der telefonischen Verabredung des Besuchs gesagt hatte.
»Ich hätte nicht geglaubt, dass er so weit gehen würde«, begann Britta Stein. »Er hat so oft von dem Fehlurteil geredet und uns immer wieder erzählt, dass er rein versehentlich ohne Busfahrschein war. Der Name Frodeleit war für ihn ein Inbegriff für Ungerechtigkeit, ja sogar für Rechtsbeugung. Aber niemand von uns hat ernsthaft in Betracht gezogen, dass er sich tatsächlich an ihm rächen würde.«
»Haben Sie ihm geglaubt, dass er den Fahrschein bloß vergessen hatte?«, fragte Stephan.
»Durchaus. Es war ja kurz vorher nicht nur seine Ehe mit Isabel in die Brüche gegangen. Er hatte darüber hinaus noch seine Arbeitsstelle gewechselt und besaß deshalb keine Monatsfahrkarte mehr. Seine neue Stelle befand sich praktisch bei ihm um die Ecke. Deshalb war er es nicht mehr gewohnt, für jede Busfahrt einen Fahrschein zu lösen.«
»Davon wussten wir nichts«, sagte Marie. »Löffke hatte uns nur erzählt, dass die Beziehung zu seiner Frau zerbrochen war. Und das war offensichtlich ein Umstand, den Frodeleit nur als Ausrede wertete.«
»Willkür-Richter Frodeleit, so hatte Bernd ihn immer genannt«, erinnerte sich Stiezel.
»Mein Bruder hat Löffke mit Sicherheit gesagt, dass er vorher ein Monatsticket besaß. Gerade das macht doch nachvollziehbar, dass er das Lösen der Fahrkarte vergessen hat«, ergänzte Britta Stein.
»Warum ist er nicht in Berufung gegangen?«, fragte Stephan.
»Löffke hat davon abgeraten. Er könne sowieso keinen Richter davon überzeugen, dass seine Version richtig sei, hat
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