Tribunal
Kurzschluss in dem Stollen, wo Sie vorher die Nacht verbracht haben, lahmgelegt wurde. Und zwar ausgelöst durch eine ausgelaufene Wasserflasche, deren Inhalt in einen Heizlüfter gelangt ist. Herr Frodeleit war kurz vorher in diesen Stollen gelaufen, nachdem sich die Situation in der Halle wohl zugespitzt hatte. Soweit wir wissen, ist er dort hineingegangen, um nachzudenken. Wie er und Herr Löffke berichtet haben, hatte Büllesbach den beiden vorgeworfen, gemeinsam zu seinem Nachteil gehandelt zu haben.«
Stephan wunderte sich über die gestelzte Ausdrucksweise des Beamten, doch dieser fuhr unbeirrt fort: »Herr Löffke, der ihn in einem Verfahren wegen Leistungserschleichung verteidigt hatte, soll ihn in Absprache mit dem damaligen Richter, Herrn Frodeleit, verraten und seine Verurteilung hingenommen haben, obwohl er immer wieder beteuert habe, das Lösen der Fahrkarte lediglich vergessen zu haben, also kein Vorsatz vorläge. Wir haben die damaligen Akten inzwischen beschaffen können. Tatsächlich ist Büllesbach vom damaligen Richter Frodeleit wegen dieses Delikts zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Aus Büllesbachs Umfeld wissen wir, dass er über diese Sache nie hinweggekommen ist und immer wieder damit gedroht hat, eines Tages die, wie er sich ausdrückte, Verräter und Rechtsbeuger zur Verantwortung zu ziehen. In diesem Zusammenhang nannte er die Namen seines Anwalts Löffke und des Richters Frodeleit.«
»Welches Umfeld meinen Sie?«, fragte Stephan dazwischen.
»Seine Halbschwester Britta Stein und deren Mann. Sie sind übrigens Eigentümer des Hauses, in das Sie Büllesbach am Abend der Tat eingeladen hat. Büllesbach sollte während ihrer Abwesenheit das Haus hüten. Das machte er schon seit Jahren. Britta Stein und Peter Stiezel, sein Schwager, sind jedes Jahr von November bis Februar in ihrem Haus auf Fuerteventura. Büllesbach zog gewöhnlich für diese Zeit in das Haus, pflegte und bewachte die Anlage und kümmerte sich um alltägliche Dinge. Auch noch während seiner Krankheit.«
»Krankheit?«, fragte Marie.
»Büllesbach war krebskrank«, erklärte der Beamte. »Nach der Prognose der Ärzte hätte er nicht mehr lange gelebt. Die Chemotherapien schlugen nicht an.«
»Deshalb hatte er keine Haare«, nickte Stephan. »Und deshalb sah er so käsig aus.«
»Wir vermuten, dass ihn diese Prognose auch zur Tat getrieben hat. Er wollte in seinem Leben noch mit den Personen abrechnen, die sich, wie er es nannte, gegen ihn verschworen hatten.«
»Haben Sie mal daran gedacht, dass er mit seinen Behauptungen recht haben könnte?«, fragte Marie weiter.
»Recht?« Der Beamte zog erstaunt die Augenbrauen hoch. »Ich denke, man sieht allein an seiner Tat, wozu er fähig war. Es ist schon merkwürdig, wenn jemand Rechtsstaatlichkeit für sich reklamiert und gleichzeitig den Rechtsstaat mit massiver Freiheitsberaubung tritt. Sehen Sie, wir haben doch alle Aufzeichnungen von Büllesbach ausgewertet. Es ist ohne jeden Zweifel, dass er Frodeleit und Löffke vorführen wollte. Wir dürfen doch nicht ernst nehmen, was Frodeleit und Löffke in ihrer Not da unten gesagt haben. Büllesbach hat Frodeleit gegen Löffke gehetzt, um anschließend Frodeleit zu opfern. Er ist ganz geschickt vorgegangen. Unser Psychologe sieht es nicht anders. Alles, was der Richter dem Anwalt und der Anwalt dem Richter vorgeworfen hat, ist doch aus der Angst erwachsen, dass Büllesbach ihnen etwas antun könnte. In so einer Zwangslage gesteht man schnell Taten, die man nicht zu verantworten hat. Frodeleit und Löffke haben hierzu auch schon eindeutig ausgesagt. An ihrer Glaubwürdigkeit bestehen keine Bedenken. Löffke ist Ihr Kollege, Herr Knobel! Ihre Kanzlei hat einen untadeligen Ruf. Das mit den Gebühren haben wir noch nicht weiter überprüft. Löffke gilt in Anwaltskreisen als gut, aber teuer. So ist das eben. Und über Herrn Frodeleit brauchen wir auch keine weiteren Worte zu verlieren. Sie wissen, dass er in Kürze zum Vorsitzenden am Oberlandesgericht berufen werden soll. Wir haben in der Personalakte die dienstlichen Beurteilungen über Frodeleit gelesen: alles erstklassig. Man geht allgemein auch davon aus, dass der Vorsitz beim Oberlandesgericht nicht das Ende der Karriere sein wird. Wer weiß, was aus dem noch alles wird«, meinte der Beamte. »Eine solche Koryphäe wird vielleicht noch Gerichtspräsident oder so was. Bei solchen braucht man gar nicht weiter tief zu graben. Auf solche Leute wartet die Justiz. Untadelige
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