Tribunal
der Beamte.
»Was ist denn genau passiert?«, fragte Stephan. »Wir wissen nur, dass Büllesbach durch einen schweren Schlag gegen den Kopf, als er gegen eine Wand oder einen Stahlträger gelaufen ist, zu Tode kam.«
»Natürlich stellt sich die Frage, warum Herr Frodeleit und Herr Löffke nicht sofort mit Ihnen nach draußen gegangen sind«, sagte der Beamte. »Aber mir ist auch klar, was beide in diesem Moment beschäftigt hat: Wenn man durch einen technischen Zufall die Gelegenheit bekommt, den Peiniger zu stellen, der im Begriff war zu fliehen, dann bleibt man ihm auf den Fersen. Wenn man so gedemütigt worden und noch bei Kräften ist, will man das Schwein doch stellen, das einem diese Schmach zugefügt hat. Vor allem, wenn zu vermuten stand, dass Büllesbach keine Waffe bei sich hatte. Der Ausfall der Technik hatte ihn nackt gemacht. Es bestand also die reale Chance, ihn zu stellen. Herr Löffke und Herr Frodeleit mussten nicht weit gehen. Vielleicht 50 Meter weiter befindet sich ein weiterer Querstollen. Ganz am Anfang dieses Stollens hatte sich Büllesbach eingerichtet. Er hatte eine kleine Steuerzentrale gefertigt, von der aus er seine elektrischen Foltergeräte ein- und ausschalten konnte. Von dort führte ein weiteres Versorgungskabel etwa 400 Meter bis zu einem anderen Ausgang. Dort, hinter der nächsten Stahltür, hatte Büllesbach einen Generator aufgestellt, der die Anlage speiste. Von seinem Steuerpult aus war Büllesbach über Mikrofon und Lautsprecher technisch zugeschaltet. Die Kamerabilder wurden auf einen Bildschirm übertragen. Auch diese Spielereien haben im Endeffekt kein Vermögen gekostet.«
»Was geschah dann?«, wollte Stephan wissen.
»Büllesbach saß nach dem Stromausfall ebenfalls im Dunkeln. Zwar besaß auch er eine Taschenlampe, aber er fürchtete, sie zu benutzen, weil man ihn in der tiefen Dunkelheit sofort bemerkt hätte. Er hoffte also darauf, dass alle über die andere Seite wieder ins Freie gelangen wollten. Dann wäre er, so vermuten wir, über den Ausgang, in dem er den Generator platziert hatte, geflüchtet. Aber es kam anders. Frodeleit und Löffke näherten sich. Frodeleit trug die Taschenlampe. Büllesbach bemerkte natürlich ihr Kommen und ergriff die Flucht. Er stolperte aus dem Querstollen und lief im Hauptstollen weiter in Richtung Ausgang. Jetzt, als er flüchtete, konnten Herr Frodeleit und Herr Löffke sicher sein, dass er unbewaffnet war, und sie rannten ihm hinterher. Büllesbach muss dann seine Lampe verloren haben. Sie lag jedenfalls gut 100 Meter vor dem Ort, wo wir ihn letztlich fanden. Er muss weiter in die Dunkelheit gerannt sein. Möglicherweise hat er sich zunächst auch an die Stollenwand gedrückt in der Hoffnung, dass seine Verfolger an ihm vorbeilaufen würden. Klar war, dass er nicht entkommen konnte, denn ohne Licht, das wissen Sie selbst, sehen Sie da unten keinen Zentimeter weit. Als Frodeleit und Löffke ihn fanden, kam es zu einem Handgemenge. Büllesbach hat Herrn Löffke in den Unterleib getreten und Herrn Frodeleit ins Gesicht geschlagen. Wir nehmen an, dass er sich nicht nur den beiden widersetzen, sondern auch deren Taschenlampe an sich bringen wollte. Was dann im Einzelnen geschah, lässt sich nicht aufklären. Herr Frodeleit und Herr Löffke haben reichlich äußere Verletzungen davongetragen, so wie Büllesbach auch. Wie er mit dem Kopf gegen einen stählernen Versteifungsbogen geschlagen ist, haben wir nicht ermitteln können, denn in dem Handgemenge fiel auch Herrn Frodeleit die Lampe aus der Hand. Es kann viel passieren, wenn im Dunkeln Freund und Feind nicht mehr auseinanderzuhalten sind. Und die Angst spielt in solchen Situationen selbstverständlich eine große Rolle. Wer will da sagen, er hätte anders gehandelt? Es ist wahrscheinlich eine Verkettung unglücklicher Umstände. Kriminaltechnisch können wir nicht aufklären, wessen Faust in wessen Körperteil geschlagen hat. Auch können wir nicht ermitteln, wer wen wann zuerst geschlagen hat. Menschliche Körper sind nicht in jeder Hinsicht gute Spurenträger. Aber wir wollen allem voran nicht vergessen, dass es besser Büllesbach als die beiden anderen getroffen hat. Es ist ein bisschen so, als habe sich die Gerechtigkeit selbst vollzogen.«
Der Beamte lächelte maliziös.
»Wie meinen Sie das?«, fragte Marie.
Der Beamte hatte den Unterton ihrer Empörung wahrgenommen.
»Wir wollen nicht vergessen, wer der Täter ist und wer die Opfer sind, Frau Schwarz. Nichts weiter. Es
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