Tricks
maßgeschneiderte Hose und eine cremefarbene Seidenbluse. Carlas Turnschuhe passten zwar nicht dazu, aber das war nicht zu ändern, denn ihre Schuhgröße war zwei Nummern größer als Sylvias.
Carla ging duschen – was sie wegen ihrer Gemütsverfassung an diesem Morgen unterlassen hatte –, und Sylvia rief Ruth an. Ruth musste am Abend zu einer Versammlung, aber sie würde den Schlüssel bei den Mietern im Obergeschoss abgeben, und Carla brauchte nur bei ihnen zu klingeln.
»Allerdings muss sie sich vom Busbahnhof ein Taxi nehmen. Das wird sie doch wohl schaffen?«, fragte Ruth.
Sylvia lachte. »Sie ist keine lahme Ente, keine Angst, sie ist nur in einer schlimmen Lage, wie es manchmal so geht.«
»Ah, gut. Ich meine, gut, dass sie weggeht.«
»Überhaupt keine lahme Ente«, sagte Sylvia und dachte daran, wie Carla die Maßhose und das Leinenjackett anprobiert hatte. Wie rasch junge Menschen sich von tiefster Verzweiflung erholen, und wie schön das Mädchen in den frischen Sachen ausgesehen hatte.
Der Bus hielt in der Stadt um zwanzig nach zwei. Sylvia beschloss, zum Mittagessen Omeletts zu machen, den Tisch mit der dunkelblauen Tischdecke zu decken, die Kristallgläser aus dem Schrank zu holen und eine Flasche Wein aufzumachen.
»Hoffentlich haben Sie genug Hunger, um etwas zu essen«, sagte sie, als Carla sauber und strahlend in ihren geliehenen Sachen aus dem Badezimmer kam. Ihre leicht sommersprossige Haut war von der Dusche gerötet, ihre Haare waren feucht und dunkler als sonst, aus dem Zopf befreit, und die entzückenden krausen Härchen lagen jetzt eng an ihrem Kopf. Sie sagte, sie sei hungrig, aber als sie dann versuchte, einen Bissen Omelett mit der Gabel zum Mund zu führen, machten ihre zittrigen Hände das unmöglich.
»Ich weiß gar nicht, warum ich so zittere«, sagte sie. »Ich bin wohl sehr aufgeregt. Ich hätte nie gedacht, dass es so einfach ist.«
»Es ist sehr plötzlich«, sagte Sylvia. »Wahrscheinlich kommt es Ihnen etwas unwirklich vor.«
»Eigentlich nicht. Alles kommt mir endlich wirklich vor. Nein, in der Zeit davor, da war ich wie im Tran.«
»Vielleicht, wenn man sich zu etwas entschließt, wenn man wirklich einen Entschluss fasst, dann ist das so. Oder sollte so sein.«
»Wenn man eine Freundin hat«, sagte Carla mit unsicherem Lächeln und errötender Stirn. »Wenn man eine wahre Freundin hat. Ich meine, eine wie Sie.« Sie legte Messer und Gabel hin und erhob ungeschickt mit beiden Händen ihr Weinglas. »Auf wahre Freundschaft«, sagte sie verlegen. »Ich sollte wahrscheinlich keinen Schluck trinken, aber ich tu's.«
»Ich auch«, sagte Sylvia mit gespielter Fröhlichkeit. Sie trank, verdarb aber den Augenblick, indem sie sagte: »Werden Sie ihn anrufen? Oder was? Er muss Bescheid wissen. Oder wenigstens muss er um die Zeit, wo er Sie zu Hause erwartet, wissen, wo Sie sind.«
»Nicht das Telefon«, sagte Carla ängstlich. »Das kann ich nicht. Vielleicht könnten Sie …«
»Nein«, sagte Sylvia. »Nein.«
»Nein, das war dumm. Das hätte ich nicht sagen sollen. Es ist einfach schwer, klar zu denken. Vielleicht sollte ich es so machen, ich stecke ihm eine Nachricht in den Briefkasten. Aber ich will nicht, dass er sie zu früh findet. Ich will nicht mal, dass wir auf dem Weg in die Stadt da vorbeifahren. Ich will, dass wir den Weg hintenherum nehmen. Wenn ich ihm schreibe – wenn ich was schreibe, könnten Sie, vielleicht könnten Sie das auf dem Rückweg in den Kasten stecken?«
Sylvia willigte ein, zumal ihr nichts Besseres einfiel.
Sie holte einen Stift und Papier. Sie schenkte noch ein wenig Wein nach. Carla überlegte, dann schrieb sie ein paar Worte hin.
Ich bin weg. Mach Dir keine Borgen
.
Das waren die Worte, die Sylvia las, als sie auf dem Heimweg vom Busbahnhof den Zettel entfaltete. Sie war überzeugt, dass es sich um einen Flüchtigkeitsfehler handelte, weil Carla davon gesprochen hatte, das Geld zurückzuzahlen. Außerdem war sie in einem Zustand hektischer Verwirrtheit gewesen. Vielleicht verwirrter, als Sylvia sich eingestanden hatte. Der Wein hatte einen Redefluss ausgelöst, der aber nicht von einem bestimmten Schmerz oder Kummer begleitet zu sein schien. Sie hatte von dem Pferdestall erzählt, in dem sie gearbeitet und Clark kennengelernt hatte, als sie achtzehn Jahre alt und gerade mit der High School fertig war. Ihre Eltern wollten, dass sie ein College besuchte, und sie hatte eingewilligt, vorausgesetzt, sie konnte Tiermedizin
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