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Tricks

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Titel: Tricks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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studieren. Es war immer ihr Wunsch gewesen, etwas mit Tieren zu tun zu haben und auf dem Land zu leben. Sie war in der High School eines jener linkischen Mädchen gewesen, das von den anderen gnadenlos durch den Kakao gezogen wurde, aber das hatte sie nicht gekümmert.
    Clark war der beste Reitlehrer, den man sich vorstellen konnte. Die Frauen waren scharenweise hinter ihm her, sie nahmen Reitstunden, nur um ihn als Lehrer zu haben. Carla zog ihn wegen seiner Frauengeschichten auf, und anfangs schien ihm das zu gefallen, aber dann ärgerte es ihn. Sie entschuldigte sich und versuchte, es wiedergutzumachen, indem sie ihn dazu brachte, von seinem Traum zu reden – seinem Plan, eigentlich –, eine Reitschule aufzumachen, einen Reiterhof, irgendwo draußen auf dem Land. Eines Tages kam sie in den Stall und sah ihn seinen Sattel aufhängen und merkte, dass sie sich in ihn verliebt hatte.
    Jetzt vermutete sie, dass es Sex war. Wahrscheinlich einfach nur Sex.
    *
    Als der Herbst kam und sie mit der Arbeit aufhören und nach Guelph aufs College gehen sollte, weigerte sie sich und sagte, dass sie ein Jahr Auszeit brauche.
    Clark war sehr intelligent, aber er hatte nicht mal abgewartet, bis die High School zu Ende war. Mit seiner Familie hatte er so gut wie keinen Kontakt mehr. Er war der Überzeugung, dass Familien wie Gift im Blut sind. Er war Pfleger in einer psychiatrischen Klinik gewesen, Diskjockey bei einem Radiosender in Lethbridge, Alberta, Mitglied eines Bautrupps auf den Überlandstraßen in der Nähe der Thunder Bay, Friseurlehrling und Verkäufer in einem Armeeladen. Und das waren nur die Jobs, von denen er ihr erzählt hatte.
    Sie hatte ihm den Spitznamen Zigeunervagabund gegeben, wegen des Liedes, einem alten Lied, das ihre Mutter immer gesungen hatte. Als sie sich jetzt angewöhnte, es ständig zu Hause zu singen, wusste ihre Mutter, dass etwas im Busch war.
    »Gestern noch schlief sie im Federbett
    Auf seidenweicher Matratz,
    Doch heut auf dem kalten Bo-o-den
    Bei ihrem Zigeunerschatz.«
    Ihre Mutter sagte: »Er wird dir das Herz brechen, das ist mal sicher.« Ihr Stiefvater, ein Ingenieur, gestand Clark nicht mal diese Fähigkeit zu. »Ein Verlierer«, nannte er ihn. »Einer von diesen Streunern.« Als wäre Clark ein lästiges Insekt, das er einfach vom Ärmel streifen konnte.
    Also sagte Carla: »Spart ein Streuner genug Geld zusammen, um eine Farm zu kaufen? Was er übrigens getan hat!«, und er antwortete nur: »Ich denke nicht daran, mich mit dir zu streiten.« Sie sei sowieso nicht seine Tochter, fügte er hinzu, als sei damit der Fall erledigt.
    Also blieb Carla nichts anderes übrig, als mit Clark durchzubrennen. So, wie ihre Eltern sich verhielten, sorgten sie geradezu dafür.
    »Werden Sie sich mit Ihren Eltern in Verbindung setzen, nachdem Sie sich eingelebt haben?«, fragte Sylvia. »In Toronto?«
    Carla zog die Augenbrauen hoch, sog die Wangen ein und verzog den Mund zu einer frechen Schnute. »Nö«, sagte sie.
    Definitiv ein bisschen betrunken.
    *
    Nachdem Sylvia den Zettel in den Briefkasten gesteckt hatte, wusch sie zu Hause das Geschirr ab, das noch auf dem Tisch stand, wischte die Omelettpfanne aus, warf die blauen Servietten und das Tischtuch in den Wäschekorb und machte die Fenster auf. Sie tat das mit einem verwirrenden Gefühl von Bedauern und Verärgerung. Sie hatte dem Mädchen ein neues Stück Apfelseife ins Badezimmer gelegt, und deren Duft war noch im Haus zu riechen, wie vorher auch im Auto.
    Irgendwann im Laufe der letzten Stunde hatte es zu regnen aufgehört. Sie konnte nicht stillsitzen, also ging sie auf dem Weg, den Leon angelegt hatte, spazieren. Der Kies, den er auf die morastigen Stellen geschüttet hatte, war fast vollständig fortgespült worden. Sie war im Frühjahr immer mit ihm spazieren gegangen und hatte Ausschau nach wilden Orchideen gehalten. Sie hatte ihm die Namen der Wildpflanzen beigebracht – die er bis auf Dreiblatt alle vergessen hatte. Er hatte sie immer seine Dorothy Wordsworth genannt.
    Im letzten Frühjahr war sie einmal hinausgegangen und hatte ihm ein kleines Sträußchen Hundszahnveilchen gepflückt, aber er hatte die Blumen – wie manchmal auch sie – nur mit Erschöpfung und Ablehnung betrachtet.
    Sie sah immer wieder Carla vor sich, Carla, die in den Bus stieg. Sie hatte sich aufrichtig, aber fast beiläufig bedankt und dann fröhlich gewinkt. Sie hatte sich an ihre Rettung schon gewöhnt.
    Vom Spaziergang zurück, rief Sylvia in Toronto an,

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