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Tricks

Tricks

Titel: Tricks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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finsteres Gesicht zog, ohne dass jemand sie mit seiner schlechten Laune ansteckte.
    Aber was würde ihr am Herzen liegen? Woher würde sie wissen, dass sie am Leben war?
    Während sie von ihm weglief, behauptete Clark immer noch seinen Platz in ihrem Leben. Aber wenn sie das Weglaufen hinter sich hatte, wenn sie einfach ihres Weges ging, was würde sie an seine Stelle setzen? Was sonst – oder wer sonst – konnte sie je so intensiv herausfordern?
    Sie hatte es geschafft, mit dem Weinen aufzuhören, aber sie hatte angefangen zu zittern. Es ging ihr schlecht, und sie musste sich zusammenreißen, sich in den Griff kriegen. »Krieg dich in den Griff«, hatte Clark manchmal zu ihr gesagt, wenn er durch ein Zimmer kam, in dem sie zerknirscht hockte und sich Mühe gab, nicht zu weinen, und das musste sie jetzt wirklich tun.
    Sie hatten in einer weiteren Stadt gehalten. Das war die dritte Stadt auf dem Weg fort von der Stadt, wo sie in den Bus gestiegen war, was bedeutete, dass sie durch die zweite Stadt gefahren war, ohne es überhaupt zu merken. Der Bus musste angehalten haben, der Fahrer musste den Namen ausgerufen haben, und sie hatte in ihrem Nebel aus Angst und Schrecken nichts gehört und nichts gesehen. Bald genug würde der Bus die Autobahn erreichen und auf Toronto zurasen.
    Und sie würde verloren sein.
    Sie würde verloren sein. Was hatte es für einen Sinn, in ein Taxi zu steigen und die neue Adresse anzugeben, morgens aufzustehen und sich die Zähne zu putzen und in die Welt hinauszugehen? Warum sollte sie sich einen Job suchen, sich etwas zu essen in den Mund tun, sich von öffentlichen Verkehrsmitteln von einem Ort zum anderen bringen lassen?
    Ihre Füße schienen jetzt ungeheuer weit fort von ihrem Körper zu sein. Ihre Knie, in der ungewohnt steifen Hose, wurden von Eisen niedergepresst. Sie sank zu Boden wie ein verletztes Pferd, das nie wieder aufstehen wird.
    Die wenigen Fahrgäste und die Pakete, die in dieser Stadt gewartet hatten, waren bereits im Bus untergebracht. Eine Frau und ein kleines Kind in seinem Kinderwagen winkten jemandem zum Abschied zu. Das Gebäude hinter ihnen, das Café, das als Bushaltestelle diente, war auch in Bewegung. Eine Welle lief durch die Ziegelsteine und die Fenster, als wären sie dabei, sich aufzulösen. Unter Lebensgefahr zerrte Carla ihren riesigen Körper, ihre eisernen Glieder hoch. Sie stolperte voran, sie schrie: »Ich will raus.«
    Der Fahrer bremste, gereizt rief er: »Ich dachte, Sie wollen nach Toronto?« Die anderen Fahrgäste warfen ihr verstohlen neugierige Blicke zu, niemand schien zu begreifen, dass sie Todesangst litt.
    »Ich muss hier aussteigen.«
    »Hinten ist eine Toilette.«
    »Nein. Nein. Ich muss aussteigen.«
    »Ich kann nicht auf Sie warten. Ist das klar? Haben Sie noch Gepäck?«
    »Nein. Ja. Nein.«
    »Kein Gepäck?«
    Jemand im Bus sagte: »Klaustrophobie. Die leidet an Klaustrophobie.«
    »Fehlt Ihnen was?«, fragte der Fahrer.
    »Nein, nein. Ich will nur raus.
    »Okay, okay. Von mir aus.«
     
    »Komm mich holen. Bitte. Komm mich holen.«
    »Ich komme.«
     
    Sylvia hatte vergessen, die Haustür abzuschließen. Ihr wurde klar, dass sie sie jetzt abschließen, nicht aufmachen müsste, aber es war zu spät, die Tür war schon auf.
    Und niemand da.
    Doch sie war sich sicher, es hatte wirklich geklopft.
    Sie machte die Tür wieder zu, und diesmal schloss sie sie ab.
    Ein harmloses Geräusch war zu hören, ein klimperndes Klappern, das von der Fensterfront kam. Sie knipste das Licht an, konnte nichts entdecken und knipste es wieder aus. Ein Tier – vielleicht ein Eichhörnchen? Die Terrassentür zwischen den Fenstern war auch nicht abgeschlossen. Nicht mal richtig zu, sie stand vom Lüften des Hauses immer noch einen Spaltbreit auf. Sie wollte sie zumachen, und jemand lachte, ganz in der Nähe, nah genug, um bei ihr im Zimmer zu sein.
    »Ich bin's«, sagte ein Mann. »Hab ich Sie erschreckt?«
    Er stand an die Fensterscheibe gepresst, direkt neben ihr.
    »Clark«, sagte er. »Der Clark vom Grundstück weiter unten.«
    Sie mochte ihn nicht hereinbitten, aber sie hatte auch Angst, ihm die Tür vor der Nase zuzumachen. Er konnte sie packen, bevor sie es schaffte. Sie wollte auch kein Licht anmachen. Sie schlief in einem langen T-Shirt. Sie hätte sich die Decke vom Sofa holen und umlegen können, aber dafür war es jetzt zu spät.
    »Wollen Sie sich was anziehen?«, fragte er. »Was ich hier drin habe, könnte genau das sein, was Sie

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