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Tricks

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Titel: Tricks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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leben eben hier. Ist dein Lebensgefährte auch der Meinung, dass es ein Witz ist? Ich will heute Abend nicht weiter darüber reden, ich geh ins Bett. Ich schau nochmal bei Mutter rein, und dann geh ich ins Bett.«
    »Der Personenzug –«, sagte Juliet mit unverminderter Heftigkeit, sogar mit Verachtung. »Der hält doch immer noch hier. Nicht wahr? Du wolltest nur nicht, dass ich hier aussteige.
Nicht wahr?
«
    Ihr Vater, auf dem Weg hinaus, antwortete nicht.
    *
    Das Licht der letzten Straßenlaterne in der Stadt fiel jetzt auf Juliets Bett. Der große, schattige Ahornbaum war gefällt worden, statt seiner wuchs dort jetzt Sams Rhabarber. Gestern Nacht hatte sie die Vorhänge zugezogen, damit das Bett im Dunkeln lag, aber heute Abend hatte sie das Gefühl, die frische Luft zu brauchen. Also musste sie das Kissen ans Fußende des Betts verlagern, zusammen mit Penelope, die trotz des Laternenlichts auf ihrem Gesicht wie ein Engel geschlafen hatte.
    Juliet wünschte, sie hätte etwas von dem Whisky getrunken. Sie lag da, starr vor Enttäuschung und Zorn, und verfasste im Kopf einen Brief an Eric.
Ich weiß gar nicht, was ich hier tue, ich hätte nicht herkommen sollen, ich kann es kaum erwarten, wieder zu Hause zu sein.
    Zu Hause.
    *
    Im Morgengrauen wachte sie vom Geräusch eines Staubsaugers auf. Dann unterbrach eine Stimme – Sams Stimme – das Geräusch, und sie musste wieder eingeschlafen sein. Als sie später wach wurde, dachte sie, es musste wohl ein Traum gewesen sein. Sonst wäre Penelope aufgewacht, war sie aber nicht.
    Die Küche war an diesem Morgen kühler, nicht mehr erfüllt mit dem Geruch von köchelndem Obst. Irene brachte auf den vielen Gläsern Etiketten und Deckel aus kariertem Baumwollstoff an.
    »Ich dachte, ich hätte Sie staubsaugen hören«, sagte Juliet, um Fröhlichkeit bemüht. »Aber das muss ich geträumt haben. Es war erst gegen fünf Uhr morgens.«
    Irene antwortete erst nicht. Sie beschriftete ein Etikett. Sie schrieb mit großer Konzentration, mit zusammengekniffenem Mund.
    »Das war sie«, sagte sie, als sie fertig war. »Sie hat Ihren Vater aufgeweckt, und er musste hingehen und ihr sagen, sie soll aufhören.«
    Das schien unwahrscheinlich. Gestern hatte Sara ihr Bett nur verlassen, um ins Badezimmer zu gehen.
    »Er hat es mir erzählt«, sagte Irene. »Sie wacht mitten in der Nacht auf und denkt, so, jetzt mache ich was, und dann muss er aufstehen und ihr sagen, sie soll aufhören.«
    »Da hat sie wohl einen Energieschub gehabt«, sagte Juliet.
    »Ja.« Irene nahm sich ein weiteres Etikett vor. Als das fertig war, sah sie Juliet an.
    »Will nur Ihren Vater aufwecken und auf sich aufmerksam machen, weiter nichts. Er ist todmüde, und dann muss er aus dem Bett raus und sich um sie kümmern.«
    Juliet wandte sich ab. Sie mochte Penelope nicht absetzen – als sei das Kind hier nicht sicher –, also trug sie sie auf der Hüfte, während sie das Ei mit einem Löffel aus dem Topf fischte, es klopfte und pellte und zerdrückte, alles mit einer Hand.
    Solange sie Penelope fütterte, hatte sie Angst, etwas zu sagen, damit nicht ihr Tonfall das Baby beunruhigte und zum Schreien brachte. Etwas hatte sich jedoch Irene mitgeteilt. Sie sagte mit leiserer Stimme, aber mit trotzigem Unterton: »So werden sie eben. Wenn sie so krank sind, können sie nicht anders. Sie können nur noch an sich denken.«
    *
    Sara hatte die Augen geschlossen, schlug sie aber sofort auf. »Ach, meine Lieben«, sagte sie, als lachte sie über sich selbst. »Meine Juliet. Meine Penelope.«
    Penelope schien sich an sie zu gewöhnen. Zumindest weinte sie an diesem Morgen nicht und wandte auch nicht das Gesicht ab.
    »Hier«, sagte Sara und langte nach einer ihrer Illustrierten. »Setz sie ab und lass sie daran arbeiten.«
    Penelope schaute einen Augenblick lang fragend drein, dann griff sie sich eine Seite und zerriss sie energisch.
    »Da hast du's«, sagte Sara. »Alle Babys lieben es, Zeitschriften zu zerreißen. Das habe ich noch in Erinnerung.«
    Auf dem Stuhl am Bett stand eine Schale mit Weizenkeimbrei, den Sara kaum angerührt hatte.
    »Du hast dein Frühstück nicht gegessen?«, sagte Juliet. »Ist es nicht das, was du wolltest?«
    Sara warf einen Blick auf die Schale, als sei ernsthafte Überlegung erforderlich, aber im Moment nicht möglich.
    »Ich weiß es nicht mehr. Nein, wahrscheinlich wollte ich das nicht.« Sie bekam einen kleinen Anfall, der mit Gekicher begann und in Keuchen überging. »Wer weiß?

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