Tricks
konnte. Sie hatte nicht erwartet, Charlie zu treffen, obwohl das Geschäft seiner Familie gehörte. Als Letztes wusste sie von ihm nur, dass er Ingenieur werden wollte. Sie hatte das heute ihm gegenüber erwähnt, vielleicht taktlos, aber er war locker geblieben und hatte ihr gutgelaunt erzählt, dass daraus nichts geworden war. Er hatte um die Mitte herum zugenommen, und seine Haare waren dünn geworden, hatten etwas von ihrer lockigen Pracht und ihrem Glanz verloren. Er begrüßte Juliet überschwänglich, mit Schmeichelworten für sie selbst und auch für ihr Baby, und das verwirrte sie derart, dass sie in der ganzen Zeit, die er ihr widmete, mit heißem Kopf dastand und leicht schwitzte. In der High School hatte er keine Zeit für sie gehabt – außer, um ihr höflich Guten Tag zu sagen, da er schon immer Wert auf gute, demokratische Umgangsformen legte. Er hatte die begehrenswertesten Mädchen der Schule ausgeführt, und mit einem davon, erzählte er ihr, war er jetzt verheiratet. Mit Janey Peel. Sie hatten zwei Kinder, eins ungefähr in Penelopes Alter, das andere älter. Das war auch der Grund, sagte er mit einer Offenheit, die etwas mit Juliets eigener Situation zu tun haben mochte – das war auch der Grund, warum er nicht Ingenieur geworden war.
Er wusste also, wie er Penelope ein Lächeln und ein Glucksen abgewinnen konnte, und er plauderte mit Juliet wie Eltern untereinander, wie mit jemandem, der jetzt auf derselben Stufe stand. Sie fand es absurd, wie sehr sie das freute, wie sehr ihr das schmeichelte. Aber in seiner Aufmerksamkeit lag noch anderes – der kurze Blick auf ihre ungeschmückte linke Hand, der Witz über seine eigene Heirat. Und noch etwas. Er musterte sie verstohlen, taxierte sie, und vielleicht sah er sie jetzt als eine Frau, die ungeniert die Frucht eines ungezügelten Sexuallebens herzeigte. Ausgerechnet Juliet. Die verklemmte Streberin.
»Kommt sie nach dir?«, hatte er gefragt, als er sich hinhockte, um Penelope zu betrachten.
»Mehr nach ihrem Vater«, sagte Juliet beiläufig, aber von Stolz durchflutet, jetzt mit Schweißperlen auf der Oberlippe.
»Ist wahr?«, sagte Charlie und richtete sich auf, sprach jetzt in vertraulichem Ton. »Also das muss ich dir sagen. Ich fand es eine Schande …«
*
Juliet sagte zu Sam: »Er erzählte mir, er fand es eine Schande, was mit dir passiert ist.«
»Ach, ja? Und was hast du darauf geantwortet?«
»Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich wusste nicht, was er meinte. Aber ich wollte nicht, dass er das mitbekommt.«
»Nein.«
Sie setzte sich an den Tisch. »Jetzt hätte ich gern etwas zu trinken, aber Whisky mag ich nicht.«
»Du trinkst jetzt also auch Alkohol?«
»Wein. Wir machen unseren Wein selber. Alle in der Bucht tun das.«
Daraufhin erzählte er ihr einen Witz, einen von der Sorte, die er ihr früher nie erzählt hätte. Es ging darin um ein Paar, das in einem Motel absteigt, und die Schlusszeile lautete: »Ist genau wie das, was ich immer den Mädchen in der Sonntagsschule sage – man braucht nicht zu trinken und zu rauchen, um seinen Spaß zu haben.«
Sie lachte, spürte aber, dass ihr Gesicht heiß wurde, wie bei Charlie.
»Warum hast du deinen Beruf aufgegeben?«, fragte sie. »Hat man dich meinetwegen gehen lassen?«
»Ach was.« Sam lachte. »Glaub ja nicht, dass du so wichtig bist. Man hat mich nicht gehen lassen. Man hat mich nicht rausgeschmissen.«
»Also gut. Du hast gekündigt.«
»Ich habe gekündigt.«
»Hatte es irgendetwas mit mir zu tun?«
»Ich habe gekündigt, weil ich es satt hatte, den Hals ständig in der Schlinge zu haben. Ich war seit Jahren drauf und dran zu kündigen.«
»Es hatte nichts mit mir zu tun?«
»Also gut«, sagte Sam. »Ich habe mich gestritten. Es sind Worte gefallen.«
»Was für Worte?«
»Das brauchst du nicht zu wissen.«
»Und keine Sorge«, fügte er nach einem Augenblick hinzu. »Sie haben mich nicht rausgeschmissen. Sie konnten mich gar nicht rausschmeißen. Es gibt Vorschriften. Es ist, wie ich dir gesagt habe – ich wollte sowieso gehen.«
»Aber ist dir denn nicht klar«, sagte Juliet. »Ist dir das denn nicht klar? Du machst dir einfach nicht klar, wie
schlimm
das ist und was für ein widerwärtiger Ort zum Leben das ist, wo die Leute so etwas sagen, und wenn ich das den Leuten ins Gesicht sagen würde, dann würden sie mir nicht glauben. Sie würden es für einen Witz halten.«
»Tja. Leider Gottes leben deine Mutter und ich nicht da, wo du lebst. Wir
Weitere Kostenlose Bücher