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Tricks

Tricks

Titel: Tricks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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hatte gehofft, es würde dir nicht auffallen. Nimm es dir nicht zu Herzen.«
    Der Wintergarten war jetzt Saras Schlafzimmer. Bambus-Jalousien waren an allen Fenstern angebracht worden und füllten den kleinen Raum – früher Teil der Veranda – mit bräunlichgelbem Licht und gleichbleibender Hitze. Sara trug jedoch einen wollenen rosa Schlafanzug. Gestern, auf dem Bahnhof, mit den nachgezogenen Augenbrauen und dem himbeerroten Lippenstift, ihrem Turban und dem Kostüm, hatte sie für Juliet wie eine ältere Französin ausgesehen (nicht, dass Juliet schon viele ältere Französinnen gesehen hätte), aber jetzt, mit ihren weißen Haaren, die in Strähnen umherflogen, ihren glänzenden, ängstlichen Augen unter nahezu nicht vorhandenen Augenbrauen, sah sie eher aus wie ein sonderbar altes Kind. Sie saß an die Kissen gelehnt, bis zur Taille zugedeckt. Als Juliet sie vorher ins Badezimmer gebracht hatte, war ihr aufgefallen, dass sie trotz der Hitze im Bett Socken und Hausschuhe trug.
    Ein Stuhl war an ihr Bett gestellt worden, da dessen Sitzfläche für sie leichter zu erreichen war als ein Tisch. Darauf befanden sich Tabletten und Tropfen, Talkumpuder, Feuchtigkeitslotion, eine halb getrunkene Tasse Tee mit Milch und ein Glas mit Spuren einer dunklen Flüssigkeit, wahrscheinlich einem eisenhaltigen Stärkungsmittel. Auf dem Bett lagen Zeitschriften – alte Ausgaben von
Vogue
und dem
Ladies' Home Journal
.
    »Tu ich nicht«, sagte Juliet.
    »Wir hatten es aufgehängt. Im hinteren Flur neben der Esszimmertür. Dann hat Daddy es abgenommen.«
    »Warum?«
    »Er hat mit mir nicht darüber gesprochen. Er hat mir nicht gesagt, dass er es abhängen will. Eines Tages war es einfach weg.«
    »Was könnte er für einen Grund gehabt haben?«
    »Ach. Er hat sich wohl was dabei gedacht, weißt du.«
    »Was hat er sich dabei gedacht?«
    »Ach, ich glaube … weißt du, ich glaube, es hatte wahrscheinlich etwas mit Irene zu tun. Dass es Irene verstören könnte.«
    »Aber niemand auf dem Bild ist nackt. Nicht wie der Botticelli.«
    Denn im Wohnzimmer von Sam und Sara hing tatsächlich
Die Geburt der Venus
als Farbdruck. Das Bild war vor Jahren Gegenstand bemühter Scherze gewesen, wenn sie andere Leute zum Essen eingeladen hatten.
    »Nein. Aber es ist
modern
. Ich glaube, es hat Daddy verunsichert. Oder es zu sehen und zu wissen, dass Irene es sieht … vielleicht hat ihn das verunsichert. Möglich, dass er Angst hatte, es würde sie veranlassen, uns … na ja, zu verachten. Du weißt schon … dass wir exzentrisch sein könnten. Er möchte nicht, dass Irene uns für solche Leute hält.«
    Juliet sagte: »Solche Leute, die sich solch ein Bild hinhängen? Du meinst, ihm liegt so viel daran, was sie von unseren
Bildern
hält?«
    »Du kennst doch Daddy.«
    »Er hat noch nie Angst davor gehabt, sich mit anderen Leuten zu streiten. War das nicht sein Problem in der Schule?«
    »Was?«, fragte Sara. »Ach so. Er kann streitbar sein. Aber manchmal ist er vorsichtig. Und Irene. Irene ist … er ist ihr gegenüber vorsichtig. Irene ist für uns sehr wertvoll.«
    »Hat er gedacht, sie wird die Arbeit hinschmeißen, weil sie findet, wir haben ein exzentrisches Bild?«
    »Ich hätte es hängen lassen, Liebling. Ich schätze alles, was von dir kommt. Aber Daddy …«
    Juliet sagte nichts. Als sie neun oder zehn Jahre alt gewesen war, hatte es etwa fünf Jahre lang zwischen ihr und Sara eine stillschweigende Übereinkunft gegenüber Sam gegeben.
Du kennst doch Daddy
.
    Das war die Zeit, in der sie zusammen Frauen waren. Heimdauerwellen wurden an Juliets widerspenstigen feinen Haaren ausprobiert, stundenlanges Schneidern brachte Kleider hervor, wie niemand anders sie trug, und wenn Sam wegen einer Konferenz in der Schule erst spät nach Hause kam, bestand das Abendessen ohne ihn nur aus Sandwiches mit Erdnussbutter, Tomaten und Mayonnaise. Geschichten wurden erzählt, immer wieder, über Saras alte Freunde und Freundinnen, die Streiche, die sie anderen gespielt hatten, und den Spaß, den sie gehabt hatten, in der Zeit, als Sara auch Lehrerin war, bevor ihr Herz zu schlecht wurde. Geschichten aus der Zeit davor, als sie mit rheumatischem Fieber im Bett lag und die imaginären Freunde Rollo und Maxine hatte, die Rätsel lösten, sogar Mordfälle, wie die Figuren in bestimmten Kinderbüchern. Schilderungen von Sams närrischem Liebeswerben, Katastrophen mit dem geliehenen Auto, der Tag, an dem er als Landstreicher verkleidet vor Saras Tür

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