Tricks
Ging mir so durch den Kopf – sie könnte mich vergiften.«
»Ich mache nur Spaß«, sagte sie, als sie sich erholt hatte. »Aber sie ist eine Wilde. Irene. Wir dürfen Irene nicht … unterschätzen. Hast du die Haare auf ihren Armen gesehen?«
»Wie Katzenhaare«, sagte Juliet.
»Wie Stinktierhaare.«
»Wir können nur hoffen, dass keins davon in der Marmelade landet.«
»Hör auf … mich zum Lachen zu bringen …«
Penelope war so damit beschäftigt, Illustrierte zu zerreißen, dass Juliet sie für eine Weile in Saras Zimmer lassen konnte, um die Schale mit dem Weizenkeimbrei in die Küche zu bringen. Ohne ein Wort zu sagen fing sie an, einen Eierflip zuzubereiten. Irene lief hin und her, trug Kartons mit Marmeladengläsern zum Auto. Auf der Hintertreppe spülte Sam mit dem Gartenschlauch die Erde von den frisch ausgegrabenen Kartoffeln ab. Er sang dabei vor sich hin – anfangs zu leise, sodass der Text nicht zu verstehen war. Dann, als Irene die Treppe heraufkam, lauter.
»Irene, gut' Nacht,
Irene, gut' Nacht,
Gut' Nacht, Irene, gut' Nacht, Irene,
Im Traum bist du wieder bei mir.«
Irene, die schon in der Küche war, fuhr herum und schrie: »Singen Sie nicht dieses Lied über mich.«
»Welches Lied über Sie?«, fragte Sam mit gespieltem Erstaunen. »Wer singt ein Lied über Sie?«
»Sie. Gerade eben.«
»Ach … das Lied. Das Lied über Irene? Das Mädchen im Lied? Potzdonner … hab ganz vergessen, dass das auch Ihr Name ist.«
Er fing wieder an, summte aber nur verstohlen. Irene stand da und lauschte, mit hochrotem Gesicht, schwer atmend, darauf lauernd loszupoltern, falls sie auch nur ein Wort hörte.
»Sie sollen nicht über mich singen. Wenn mein Name drin vorkommt, dann ist es über mich.«
Plötzlich schmetterte Sam aus voller Kehle.
»Am Samstag war dann meine Hochzeit,
Meine Frau lag im Ehebett …«
»Hören Sie auf. Hören Sie sofort auf«, rief Irene mit weit aufgerissenen Augen, wutentbrannt. »Wenn Sie nicht sofort aufhören, komm ich und spritze Sie mit dem Gartenschlauch voll.«
*
Am selben Nachmittag lieferte Sam Marmelade aus, an diverse Lebensmittelgeschäfte und an ein paar Souvenirläden, die Bestellungen aufgegeben hatten. Er forderte Juliet auf, ihn zu begleiten. Er war zum Haushaltswarenladen gefahren und hatte einen nagelneuen Kinderautositz für Penelope gekauft.
»Eine der wenigen Sachen, die wir nicht auf dem Dachboden haben«, sagte er. »Ich glaube nicht, dass es die Dinger schon gab, als du klein warst. Aber egal. Wir hatten damals sowieso kein Auto.«
»Der ist ja todschick«, sagte Juliet. »Ich hoffe bloß, der hat kein Vermögen gekostet.«
»Ach was, ein Pappenstiel«, sagte Sam und hielt ihr mit einer Verbeugung die Autotür auf.
Irene war im Garten und pflückte weitere Himbeeren. Diesmal waren sie für Obstkuchen bestimmt. Sam hupte zweimal und winkte, als sie losfuhren, und Irene beschloss, den Gruß zu erwidern, und hob einen Arm, als verscheuchte sie eine Fliege.
»Das ist ein prachtvolles Mädel«, sagte Sam. »Ich weiß nicht, wie wir ohne sie überlebt hätten. Aber dir kommt sie wahrscheinlich ziemlich grob vor.«
»Ich kenne sie kaum.«
»Nein. Sie hat panische Angst vor dir.«
»Ist nicht wahr.« Juliet zerbrach sich den Kopf, um etwas Positives oder zumindest Neutrales über Irene zu sagen, und erkundigte sich schließlich, wie ihr Mann auf der Hühnerfarm ums Leben gekommen war.
»Ich weiß nicht, ob er ein Kleinkrimineller oder nur unreif war. Jedenfalls ist er mit ein paar Deppen, die einen Handel mit gestohlenen Hühnern aufmachen wollten, da eingestiegen, und natürlich haben sie es geschafft, den Alarm auszulösen, und der Farmer kam mit einem Gewehr heraus, und ob er nun vorhatte, ihn zu erschießen oder nicht, jedenfalls hat er's getan…«
»Mein Gott.«
»Also sind Irene und ihre Schwiegereltern vor Gericht gezogen, aber der Kerl wurde freigesprochen. War ja klar. Muss aber für sie ganz schön hart gewesen sein. Auch wenn sie mit dem Mann nicht gerade das große Los gezogen hatte.«
Juliet pflichtete ihm bei und fragte ihn, ob Irene früher zu seinen Schülerinnen gehört hatte.
»Nein, nein, nein. Sie ist kaum zur Schule gegangen, soweit ich das mitbekommen habe.«
Er erzählte, dass ihre Familie weiter nördlich gelebt hatte, irgendwo in der Nähe von Huntsville. Ja. Irgendwo in der Gegend. Eines Tages fuhren sie alle in die Stadt. Vater, Mutter, Kinder. Und der Vater sagte ihnen, dass er was zu erledigen
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