Tricontium (German Edition)
auch noch, nachdem Wulf seine Erzählung längst beendet hatte, bis Oshelm ihn schließlich ansprach. »Habt Ihr nun genug gehört, Ardeija? Ihr müsst doch verstehen …«
»Ja, ja«, sagte Ardeija und verschob das Verstehen vorerst auf später; etwas anderes beschäftigte ihn viel mehr als alte Wunden. »Wenn Gero nun einmal ist, wie er ist, und fast ein Jahr und einen äußeren Anstoß gebraucht hat, um einen guten Freund fliehen zu lassen, nur weil er so darauf bedacht war, das Richtige zu tun, warum zum Teufel hat er dann nichts unternommen, als Otachar unter einem falschen Namen bei ihm abgeladen wurde? Er muss ihn erkannt haben, wenn nicht im ersten Augenblick, dann doch später.«
»Das hat er sicherlich auch.« Wulf nahm einen Topf vom Feuer. »Aber Otachar ist erst nach Mons Arbuini gekommen, als ich schon nicht mehr dort war. Wenn Herr Geta oder ein anderer, der an der Verurteilung des vorgeblichen Aquila beteiligt war, nun gewusst hätte, wie es um meine Freilassung bestellt war, hätte er Geros Stillschweigen leicht erzwingen können. ›Du hältst den Mund über unseren Markgrafen hier, wir erzählen nicht herum, dass du das Schreiben aus Salvinae lieber ungeprüft gelassen hast.‹ Ob er die Kraft aufgebracht hätte, einen solchen Handel abzulehnen und sein Vergehen einzugestehen, weiß ich nicht. Ehrenhaftigkeit ist eine schöne Sache, aber sich in die Lage zu bringen, mindestens auf die Straße gesetzt zu werden, ist weitaus weniger erfreulich, vor allem, wenn man keinen vergleichbaren Posten mehr erwarten kann und außerdem nur einen Arm hat.«
Ardeija nickte und begann, Gjuki hinter den Ohren zu kraulen. »Könntest du die Geschichte aus ihm herausbekommen, wenn du hingehen und mit ihm reden würdest?«
»Das hängt vermutlich vom Grad seiner Nüchternheit zum fraglichen Zeitpunkt ab«, sagte Wulf mit einem Schulterzucken. »Ob ich sein Geheimnis weitererzählen würde, wenn es über das hinausgeht, was man ohnehin vermuten kann, ist allerdings eine andere Frage.«
Oshelm hatte wieder mit dem Schreibgriffel zu spielen begonnen. »Das ehrt dich zwar, aber wenn du überhaupt in Erwägung ziehst, einfach nach Mons Arbuini zu gehen und mit ihm zu reden, bist du nicht ganz bei Verstand. Gut, wir wollen alle wissen, was eigentlich vorgeht, aber man kann es auch übertreiben.«
Ardeija ließ seine Finger am Rückenkamm des kleinen Drachen entlangwandern. Gjuki streckte sich unter seiner Hand und zwitscherte vor Behagen.
»Vielleicht wäre es zu gefährlich, nach Mons Arbuini zu gehen, oder auf den Brandhorst, wie Frau Herrad vorschlägt«, sagte Ardeija bedächtig und bemühte sich, die Gedanken, die ihm eben erst kamen, so zu ordnen, dass sie sich erklären ließen. »Wir können es auch anders versuchen.«
»Wenn Ihr einen Plan habt, der all diesen Ärger verhindern könnte, warum habt Ihr dann nicht schon drüben in der Kanzlei etwas gesagt?« Es geschah selten, dass Oshelm laut wurde, aber nun klang er so verärgert, dass Gjuki, Liebkosung hin oder her, die Flucht in Ardeijas Kragen antrat.
»Ich denke eben langsam«, sagte Ardeija. »Und außerdem wusste ich da noch nicht, dass Wulf solch eine Begabung dafür hat, mit den Ahnen zu sprechen.«
Wulf wirkte nicht, als ob er sich dessen je bewusst gewesen war oder auch nur eine Vorstellung hatte, was Ardeija meinte. »Wofür?«
Oshelm schien glücklicherweise zu wissen, worum es ging, aber er hatte ja auch in Tricontium Umgang mit Otachars barsakhanischen Söldnern gehabt. »Mit den Ahnen sprechen«, wiederholte er. »Den Toten. Die Zauberer in der Steppe verstehen sich darauf, sagt man. Sie rufen die Toten ihres Stammes, wann immer es etwas von Bedeutung zu besprechen oder eine Notlage abzuwenden gilt, und die Ahnen erscheinen und reden mit ihnen.«
»Ja«, bestätigte Ardeija, der sich immer mehr für seinen Einfall zu erwärmen begann. »Du hast Signe gerufen und sie ist gekommen, also kannst du mit den Ahnen sprechen und auch jemand anderen als Signe holen … Jemanden, der uns etwas erzählen kann. Herrn Geta, beispielsweise.«
Die Art, wie Wulf seinen Kochlöffel gepackt hielt, hatte mittlerweile etwas unerwartet Bedrohliches. »Das mit Signe war etwas anderes«, gab er zurück und klang, als bereue er es sehr, den Vorfall je erwähnt zu haben. »Für deine Nekromantie kannst du dir einen anderen Dummen suchen.«
Es war nicht sonderlich hilfreich, dass Gjuki gerade in diesem Augenblick den Kopf wieder hervorstreckte und ein
Weitere Kostenlose Bücher